Omar al-Shishani Ende Juni an der syrisch-irakischen Grenze.

Ende Juni an der syrisch-irakischen Grenze: Ein Sprecher des Islamischen Staates im Irak und Syrien (ISIS) gibt das Ende der seit 1916 bestehenden Trennung zwischen den beiden Ländern bekannt. Es ist der letzte Akt vor der Gründung des Islamischen Kalifats, das wenig später Wirklichkeit wurde. Alle Personen auf dem Video verdecken ihr Gesicht - bis auf einen: Omar al-Shishani.

Lange Zeit war der 28-Jährige mit rotem Bart das Gesicht der ISIS. Denn im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten, ISIS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi, der sich lange verborgen hielt, war Shishani oft in Videos der radikalen Islamisten zu sehen.

Shishani war der Militärkommandeur der ISIS in Syrien. Inzwischen dürfte er aber bereits in der Hierarchie aufgestiegen sein und Militärchef des gesamten Islamischen Staates in Syrien und im Irak sein, nachdem dieser Posten durch den Tod von Abu Abd ul-Rahman al-Bilawi al-Anbari bei einer Operation Anfang Juni in Mossul frei wurde.

Ein deutliches Indiz für seinen Aufstieg ist das Video von Ende Juni, auf dem Shishani nur mehr als “Militärkommandeur” identifiziert wird. Früher wurde seine Rolle immer auf Syrien beschränkt. Eine formelle Ernennung auf dem Posten fand jedoch noch nicht statt.

Christlicher Vater, radikalisierter Bruder

Hinter den Rufnamen Omar al-Shishani (Omar, der Tschetschene) steckt Tarkhan Batirashvili, ein ethnischer Tschetschene aus dem Pankisi-Tal in Georgien. Dort diente er auch in der georgischen Armee während des Krieges mit Russland 2008. In seinem Heimatort Birkiani lebt bis heute Shishanis Vater Teimuraz Batirashvil - ein Christ. Zwei seiner drei Söhne wendeten sich radikalen islamistischen Gruppen zu - auch der zweitälteste Sohn Batirashvilis hat das Land seiner Geburt bereits verlassen.

Seinen Angaben zufolge wurde Shishani nach einer Krankheit aus der Armee entlassen. Danach war er arbeitslos und wurde von der Polizei wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet, 2012 allerdings vorzeitig entlassen. Danach ging er wie viele Islamisten aus dem Kaukasus zunächst in die Türkei. 2013 tauchte er schließlich in Syrien als Anführer der Armee der Emigranten und Partisanen auf. Die Truppe, in der auch Deutsche kämpfen, dürfte zu einem Großteil aus ausländischen Kämpfern bestehen - allen voran Jihadisten aus der Kaukasus-Region.

Kurz nachdem die Emigranten-Armee ihre Kampfstärke in Syrien eindrucksvoll bewiesen hat, kam es zum ersten Kontakt mit ISIS-Chef al-Baghdadi. Shishani schwor Ende 2013 Ba'ya - einen Treueeid - auf al-Baghdadi und spaltete sich mit einem Teil seiner Kämpfer von der Emigranten-Armee ab. Die vergangenen zwei Monate führte Shishani eine Offensive der ISIS in Deir az-Zawr im Osten Syriens an.

Nicht kamerascheu

Dass Shishani im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten nicht gerade kamerascheu ist, könnte auch daran liegen, dass er regelmäßig beweisen muss, dass er noch am Leben ist - der Georgier wurde bereits mehrfach fälschlicherweise für tot oder verletzt erklärt.

Die Übernahme des Postens als Militärkommandeur im Kalifat durch Shishani würde auch zeigen, wie sehr sich die radikalen Islamisten des Islamischen Staates, der aus dem irakischen Ableger der Al-Kaida entstand, intern veränderte. Die Führung der Al-Kaida im Irak (AQI) und später des Islamischen Staates im Irak (ISI) war von Irakern dominiert. Doch nachdem sich die Organisation vergangenes Jahr in Syrien ausbreitete, war ein sprunghafter Anstieg an ausländischen Kämpfern in ihren Rängen zu beobachten. Mit der Gründung des Kalifats könnte diese Internationalisierung weiter fortschreiten - schließlich ist es Ziel der Extremisten, einen Staat für alle Muslime zu schaffen.

Der Syrien-Konflikt, der nun in seinem vierten Kriegsjahr wütet, ist Anziehungspunkt für tausende Jihadisten aus der ganzen Welt. Allein aus Europa sollen mehr als 2000 Kämpfer in Syrien sein, rund 100 davon aus Österreich. Insgesamt gehen Schätzungen von bis zu 10.000 Kämpfern aus, die auf der Seite von oppositionellen Gruppen - allen voran islamistische Verbände - kämpfen. Die Tschetschenen, die darunter sind, gelten als die besten Kämpfer und finden sich oft in Führungsrollen.

Angesehen

Im Oktober 2013 schätzte der russische Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl an russischen Jihadisten im syrischen Bürgerkrieg noch auf 500. Der US-Thinktank Soufan Group geht inzwischen von rund 800 aus.

Bei den Rebellen in Syrien sind Shishanis Kämpfer hoch angesehen: Nach praktisch zwei Jahrzehnten Krieg haben viele Tschetschenen ausgiebige Kampferfahrung. Im Krieg gegen die technisch wie finanziell besser ausgestattete russsischen Streitkräfte entwickelten sie viel Know-how im Guerilla-Kampf, das nun auch in Syrien zum Einsatz kommt. Globale Jihadisten-Bewegungen haben den Kampf gegen Russland im Kaukasus schon vor Jahren für sich entdeckt - alte Kontakte, die sich nun beim Kampf um Syrien bezahlt gemacht haben.

Für viele Jihadisten aus dem Kaukasus wiederum macht das Engagement in Syrien und Irak Sinn: Einerseits zeigen sie dadurch ihre Solidarität mit anderen Islamisten, andererseits können sie in Syrien gegen einen Verbündeten von Präsident Wladimir Putin kämpfen. (stb, derStandard.at, 28.7.2014)