"Es war nicht leicht, mich als Frau zu profilieren. Die meisten Jungs an der Uni hatten nie Kontakt mit Mädchen gehabt", sagt Samira Hayat.

Foto: Lakeside Labs/Philipp

STANDARD: Sie sind in Pakistan aufgewachsen. Woher kommt Ihr Interesse an Technologie?

Hayat: Mein Vater ist Arzt und ermunterte uns Kinder immer, zu studieren. Ich habe zwei Brüder und vier Schwestern, die alle Ärztinnen wurden, so wie es sich mein Vater gewünscht hat. Er war nicht sehr glücklich darüber, dass ich mich für ein Technikstudium entschieden habe. Es ist nicht üblich in Pakistan, dass Frauen in diesen Bereich gehen. Aber ich war schon immer eine Rebellin. Mein Vater fragte ständig: Was stimmt mit dir nicht? In der Schule war Mathematik für mich wie Magie. Man rechnet und rechnet, bis man die Lösung bekommt. Es hat mich fasziniert. Ich wollte Elektrotechnik studieren, weil man dabei sehr viel Vorstellungsgabe braucht. Es war ein Kampf mit meinem Vater, aber meine Mutter unterstützte mich.

STANDARD: Pakistan ist nicht gerade bekannt dafür, die Bildung von Mädchen zu fördern. Man denke nur an den Anschlag der Taliban auf das Mädchen Malala.

Hayat: Es war nicht leicht, mich als Frau zu profilieren. Es wird nicht erwartet, dass Frauen eine Karriere machen. Von 120 Studierenden in meinem Fach waren nur sieben Frauen. Die meisten Jungs hatten nie Kontakt mit Mädchen gehabt und wussten nicht, wie man mit ihnen umgeht. Am Anfang hatte ich viele Probleme. Mein Vater sagte uns Mädchen immer: Wenn dich ein Mann von hinten anspricht, antworte nie. Verteidige dich nur, wenn dir jemand ins Gesicht sieht. Er bläute uns ein, dass es keinen Sinn hat, einen Streit anzuzetteln. Ich habe mir andauernd Streit eingehandelt. (lacht) Ich fand, es ist mein Recht, mich zur Wehr zu setzen. Dann merkte ich, dass ich mich behaupten konnte. Wenn man daran glaubt, was man tut, kann einen nichts stoppen.

STANDARD: Sie haben Ihr Studium in Italien abgeschlossen. Wie kam das?

Hayat: Schon als Kind stellte ich mir vor dem Schlafengehen vor, ins Ausland zu gehen, und las Bücher aus aller Welt. Ich bin eine sehr neugierige Person, ich will die Dinge immer mit eigenen Augen sehen. Ich habe mich also an der Uni in Trient beworben - und es gab wieder einen Kampf mit meinen Eltern. Mein Vater sagte: Warum kannst du nicht zufrieden sein? Nimm dir ein Beispiel an deinen Schwestern! Meine Mutter sagte: Du solltest heiraten! Sie haben dann versucht, mich zu erpressen, bis sie einsahen, dass sie mich gehen lassen mussten.

STANDARD: Es wurde also nichts aus der Heirat?

Hayat: Nein, aber meine Eltern machten sich immer mehr Sorgen. Also kehrte ich nach dem Masterabschluss nach Pakistan zurück - bereit, einen Mann zu heiraten, den sie für geeignet hielten. Es kamen viele Leute, um ihre Söhne anzupreisen. Aber meine Eltern waren nie zufrieden. Sie wollten so sehr einen Ritter in glänzender Rüstung - obwohl das gar nicht meiner Vorstellung entspricht. Nach drei Monaten wurde mir klar, dass ich in Pakistan wenig Karrieremöglichkeiten hatte. Ich suchte einen Job in Europa und kam so an die Lakeside Labs in Klagenfurt.

STANDARD: ... und wurden ausgerechnet Drohnenforscherin?

Hayat: Mein Vater ist noch immer skeptisch. Du arbeitest mit Drohnen, und in Pakistan werden die Leute damit umgebracht, sagt er. Doch ich beschäftige mich mit den kommerziellen Aspekten. An den Lakeside Labs forsche ich an autonomen Netzwerken von UAVs (Unmanned Aerial Vehicles, Anm.), wie unbemannte Luftfahrzeuge in der Fachsprache genannt werden.

STANDARD: Was können Drohnenschwärme?

Hayat: Einzelne UAVs nehmen etwa Bilder aus einem Katastrophengebiet auf und senden sie zu einer Bodenstation. Drohnenschwärme brauchen ein Netzwerk. Eine Möglichkeit ist, dass jedes Gerät mit einer zentralen Steuereinheit kommuniziert. Flexibler sind aber Ad-hoc-Netzwerke, in denen alle Geräte direkt miteinander kommunizieren. Ziel ist ein Netzwerk, in dem so viele Drohnen wie erforderlich dazugeschaltet werden können.

STANDARD: Was ist dabei Ihr Forschungsfokus?

Hayat: Ich konzentriere mich auf die Kommunikation an Bord. Wenn die einzelnen Drohnen dezentrale Entscheidungen treffen sollen, müssen diese auf den Informationen und Positionen der anderen Drohnen basieren. Die Informationen müssen also so vermittelt werden, dass alle Teile des Netzwerks auf demselben Wissensstand sind. Derzeit kann man nicht 50 Geräten sagen, sie sollen Infos untereinander austauschen. Das sind zu viele Daten. Außerdem sollen die Entscheidungen möglichst in Echtzeit fallen. Man muss viele Dinge im Kopf haben, um solche Schwärme zu realisieren. Derzeit ist es noch eine Idee.

STANDARD: Kritiker befürchten dennoch, dass die Technologie zur Überwachung und Kriegsführung genutzt werden kann.

Hayat: 3-D-Drucker sind auch eine coole Sache, aber man kann damit Waffen herstellen. Wir sollten uns auf das Gute konzentrieren. Drohnen könnten wirklich sehr hilfreich sein, zum Beispiel bei einem Lawinenunglück. Die Überlebenszeit liegt bei nur 20 Minuten, mit UAVs ist es möglich, in dieser Zeit Verschüttete zu lokalisieren und zu retten. Das Gleiche gilt für die Rettung von Menschen bei Umweltkatastrophen, in schwer zugänglichen Gebieten, auf hoher See oder bei Bränden.

STANDARD: Werden Sie irgendwann zurückkehren und einen Mann heiraten, den Sie nicht kennen?

Hayat: Ich glaube, das funktioniert für mich nicht. Ich denke auch, dass meine Eltern mir die Entscheidung überlassen würden, falls sie jemanden finden. Ich spreche jede Woche mit ihnen, und jedes Mal höre ich: Du sollst heiraten und Kinder kriegen. Das wird wohl auch so bleiben. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 23.7.2014)