Villach - Zuweilen können Festival-Nischen auch ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Vor allem dann, wenn man sich in der Programmierung nicht mit halbherzigen Nebengeräuschen zufriedengeben will, sondern vielmehr Courage zu eigenständiger Profilgebung zeigt: Die von Markus Siber kuratierte Konzertreihe cs_alternativ im Rahmen des Carinthischen Sommers setzt in diesem Sinn substanzvolle Kontrapunkte zum Hauptprogramm. In den vergangenen Tagen waren daher in Kärnten zwei Stimmbandkünstler zu Gast, die über die vokalen Beiträge hinaus auch als Konzeptdenker überzeugten.

Die in Wien lebende Susanna Ridler präsentierte sonntags im Villacher Bamberg-Saal ihr eigens für den Carinthischen Sommer erarbeitetes Projekt Geometrie der Seele oder Ich seh' den See nicht mehr - eine klingende Reise durch die literarische Gedankenwelt Gert Jonkes mit autobiografischen Déjà-vus. Am Beginn stand das Bild des im Zimmer auf und ab gehenden Ich-Erzählers.

Assoziative Textcollagen

Die Motive des Gehens, des Fragens zogen sich motivartig durch die assoziativen Textcollagen, die die Zwänge des Aufwachsens im katholisch geprägten ländlichen Raum thematisierten, dabei den berühmten Dorfplatz aus Jonkes Geometrischem Heimatroman ebenso zitierten wie die Erlösung der Kleiderschränke, die noch in den Himmel kommen wollen.

Ridler sprach, sang, flüsterte, kreischte, verfremdete und loopte mittels elektronischem Equipment - und erstellte so facettenreiche, bildhafte Wort-Ton-Skulpturen. Unterstützt wurde sie von Kontrabassist Peter Herbert und dem an der Flöte groß aufspielenden Wolfgang Puschnig, mit denen sich Ridler auch durch die verbindenden Improvisationsteile tastete. Nach der Pause erprobte Ridler ihre Arbeitsweise auch an Songs wie You Go To My Head, Wayfaring Stranger oder Angel Eyes, die sie in entschleunigten elektronisch-akustischen Soundscapes dekonstruierte.

Beim Schweizer Vokalisten-Shootingstar Andreas Schaerer, der montags mit seinem Sextett Hildegard lernt fliegen in der Tenne von Schloss Damtschach auftrat, stand hingegen weniger das Spiel mit Wort und Text, vielmehr die gleichsam "instrumentale" stimmliche Virtuosität im Zentrum. Schaerer fügt sich gekonnt als "menschliche Trompete" in den Bläsersatz seines Ensembles ein, er substituiert als Human Beatbox den Schlagzeuger. Und Schaerer ist noch viel mehr als das, seine Kehle brabbelt, jubiliert, explodiert in vielfärbigen Klängen, Geräuschen, Phantasiesprachen - um im Rahmen der kurzweiligen, rhythmisch vitalen Kompositionen auch seinen Sidemen solistischen Raum zu lassen.

Lässt sich bei Schaerer ein Haar in der Suppe finden? Wenn, dann vielleicht, dass der 37-Jährige aus Bern in seinen ausschweifenden Song-Texten noch nicht dieselbe hochpräzise Plastizität erreicht, der er als Musiker so grandios zelebriert - das Lied Pre & Post Sapients über die Begegnung von Neandertaler und Homo sapiens sapiens sei als Beispiel genannt.

Dafür demonstrierte Schlagzeuger Christoph Steiner, wie man eine alte manuelle Schreibmaschine als rhythmischen Impulsgeber nützt. Standing Ovations! (Andreas Felber, DER STANDARD, 23.7.2014)