Auch Pflanzen haben Sex, allerdings wird er über Bande gespielt, sprich: Die männlichen Blüten bringen ihren Blütenstaub nicht selbst auf die Narbe der weiblichen auf, sondern brauchen dafür einen Vermittler. Wenn Tiere diese Aufgabe übernehmen, werden sie gewöhnlich mit einer Belohnung dazu animiert, die Pflanzen zu besuchen. Die häufigsten Bestäuber sind Insekten, die oft durch Nektar angelockt werden, ab und zu gibt es jedoch auch außergewöhnliche Belohnungen, wie zum Beispiel Baumaterial.

Clusia valerioi, die mit dem Balsamapfel (Clusia major) verwandt ist, ist ein in Zentralamerika weit verbreiteter Baum, der durch seine ca. fünf Zentimeter großen rosigen Blüten auffällt. Einen guten Teil seines Lebens wächst die Pflanze epiphytisch auf anderen Bäumen. In der Forschungsstation La Gamba in Costa Rica jedoch gibt es auch zwei Exemplare, die auf der Erde stehen - eine gute Gelegenheit für die Forscher rund um Werner Huber vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, das Belohnungssystem für Bestäuber näher zu untersuchen.

Clusia valerioi ist zweihäusig, das heißt, es gibt männliche und weibliche Pflanzen. Beide Geschlechter blühen nur einen Tag lang und geben dabei einen süßen, rosenartigen Duft ab. In der Mitte der männlichen Blüten befindet sich eine Art fünfeckiges Kissen, das von den dicht gepackten Staubblättern gebildet wird. Dessen Oberfläche ist von winzigen Öffnungen perforiert, aus denen Harz austritt. Bei den weiblichen Blüten wird dieses Harz von sterilen Staubblättern erzeugt, die die Narbe umringen. Es handelt sich dabei um einen attraktiven Klebstoff: Er ist formbar, wasserabweisend und bleibt lange klebrig, außerdem hat das Harz möglicherweise auch Eigenschaften, die gegen Mikroben- und Pilzbefall schützen.

Die Bestäuber von Clusia valerioi sind stachellose Bienen. Sie verwenden das Harz als Baumaterial für ihre Nester, wobei es gleichzeitig der Feindabwehr dient: Ameisen werden durch die klebrige Masse daran gehindert, in den Stock einzudringen und die Brut zu rauben. Um an das Harz zu kommen, krabbeln die Bienen auf dem Staubblätterkissen der männlichen Blüten umher und beißen kleine Teile des begehrten Stoffes ab. Dabei bleibt der Pollen, der in Form feiner Würstchen auf dem Harz liegt, an ihnen haften. Wenn sie die weiblichen Blüten besuchen, wird er auf deren Narbe übertragen.

Die Früchte von Clusia valerioi sind drei bis vier Zentimeter groß und rundlich. Wenn sie reif werden, färben sie sich gelb und klaffen auf. Dabei wird der Blick auf die Samen frei, die von einem dünnen, leuchtend orangen Mantel umgeben sind. Dieses Farbsignal lockt Vögel an: Huber und seine Diplomandin Heidrun Hochwallner konnten vier Arten von Tangaren und eine Finkenart dokumentieren, die die Samen geschickt aus den Spalten picken. Außerdem werden Samen, die aus den offenen Früchten zu Boden fallen, blitzartig von Ameisen davongetragen.

Wenn Vögel die Samen fressen, bleiben oft welche am Schnabel kleben, die sie dann in den Baumkronen abstreifen. Wenn es dort Wasser und genügend Erde gibt, wie das auf großen Regenwaldbäumen oft der Fall ist, können sie auf diesem Wirtsbaum auskeimen. Gleichzeitig entstehen Nährwurzeln, die Richtung Boden streben. Erlangen diese Bodenkontakt und gewährleisten damit eine kontinuierliche Versorgung mit Wasser und Nährstoffen, beginnt Clusia valerioi mit einem intensiven Wachstum. Bei optimalen Bedingungen kann sie ihren Wirtsbaum überwachsen und ihn sogar mit Haftwurzeln, die sich um seinen Stamm schlingen, zum Absterben bringen. In diesem Fall ist sie aber selbst dem Untergang geweiht, denn ohne seine Stütze kann sie nicht bestehen. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 23.7.2014)