Salzburg - Die weißgewandeten Männer des Sufi-Ordens Al-Tariqa al-Gazoulia sitzen im Halbkreis im Kuppelraum der Kollegienkirche. Oberkörper beginnen, sich rhythmisch zu bewegen. Atem wird tiefer, geht vom Geräusch über in Klang, konkretisiert sich in Silben: Der Text ritueller Sufi-Gesänge besteht aus den Buchstaben des Gottesnamens Allah.

Die Sufis aus Kairo sind zu Gast bei der Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele. Diese gilt heuer der Musik des Christentums und des Islam. 70 Sufi-Bruderschaften gibt es in Ägypten. Die Gemeinschaft unter der Leitung von Sheikh Salem Algazouly ist erstmals mit ihren Gesängen und Ritualen in der Öffentlichkeit zu erleben. Seelenfäden für Sufi-Chor, gemischten Chor und Ensemble von Hossam Mahmoud ist ein Auftragswerk der Salzburger Festspiele. Es basiert auf den letzten Worten des Sufi-Meisters Mansur Al-Hallag, der 922 einen grausamen Märtyrertod gestorben ist: Der Meister hatte sich erfrecht, Freiheit und Liebe zu predigen.

Zeremonien der Religionsausübung auf der Bühne versetzen das Publikum oft in die Rolle unfreiwilliger Voyeure. Diese Gefahr hat der in Salzburg lebende gebürtige Ägypter Hossam Mahmoud zu vermeiden gewusst: Sein Werk ist im Wechsel von arabischem und westlichem Chorklang streng konzipiert, eigenständig - und weitab jeglicher Religionsfolklore.

Der Text des frühislamischen Martyrers ist dem wie immer blitzsauber intonierenden Salzburger Bachchor (Einstudierung Alois Glassner) anvertraut. Wenn die Damen ihre Linien vibratolos in die Kuppelräume schweben lassen, erinnern einzelne Akkorde an Bruckners Ave Maria; Assoziationen zum Brahms-Requiem stellen sich ein, wenn das Österreichische Ensemble für Neue Musik unter dem Vokalsatz das tiefe Blech erklingen lässt.

Vor allem arbeitet Hossam Mahmoud mit zeitgenössischen Vokabeln, mit aufblühenden Clustern oder leeren Akkorden, die weite Räume öffnen. Aus dem Dialog des westlichen Chorsatzes mit den rituellen Beiträgen der Sufis über dem facettenreichen Ensemblesatz verdichten sich die Seelenfäden zu einem farbenreichen Gewebe - einem unaufdringlichen Statement für Toleranz. (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD, 24.7.2014)