Die Videospielindustrie ist keine reine Männerdomäne mehr. Doch der Wandel scheint vielen Angst zu machen.

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Weil sie manchmal über Geschlechter-Gleichberechtigung in der Videospielindustrie schreibt, lebt Brianna Wu mittlerweile in Angst. "Frauen sind die Nigger der Geschlechter", lautete ein E-Mail an sie. "Würdest du dich umbringen, würde ich mich nicht einmal an der Leiche vergehen."

Am gleichen Tag erhielt sie eine SMS mit ihrer Adresse und der Warnung, sie würde den Absender treffen, wenn sie es am wenigsten erwarte. Seit 2. Jänner, so berichtet sie bei Polygon, sei sie in der Nacht nicht mehr ohne Begleitung zu ihrem Auto gegangen.

Hass und Drohungen

Wus Hauptberuf ist es, das Spielestudio Giant Spacekat zu leiten. Sie warnt nun, dass man als Frau in der Branche mit Hass und Drohungen rechnen müsse, insbesondere wenn man sich öffentlich für Gleichberechtigung einsetze. Sie fragt sich, ob sie ihrem zwölfjährigen Ich heute noch raten würde, sich den Traum vom Spieleentwickeln wirklich zu erfüllen.

Fallbeispiele

Sie hat Fallbeispiele recherchiert und mit anderen Frauen aus der Branche gesprochen, um gängige Behauptungen zu widerlegen. So werde oft gesagt, dass ohnehin jedem in der Industrie Belästigung widerfahre und Frauen bloß überempfindlich seien.

Dem stellt sie die Erlebnisse von "Nina" gegenüber. Ein Beitrag von ihr wurde einst von der "Tropes vs. Women"-Macherin Anita Sarkeesian auf Tumblr geteilt. Daraufhin ergoss sich eine Welle hasserfüllter Botschaften über sie, sodass sie sich drei Tage lang aus dem Netz verabschiedete.

Zuerst sei es der übliche Schwall an Beschimpfungen von unangemeldeten Nutzern gewesen. Als sie die Funktion für den Empfang solcher Botschaften in ihrer Tumblr-Inbox deaktiviert habe, hätten die Verfasser damit begonnen, ständig neue Konten anzulegen. Später hätten sie ihre persönliche Website entdeckt und ihre Drohungen über diese übermittelt.

Sexualisierung

Oft werde Frauen auch vorgeworfen, in ihrem Beruf besser behandelt zu werden, weil sie Frauen seien, und aufgrund ihres Aussehens bessere Karrierechancen zu haben. Dass sie, im Gegenteil, eher mit Vorurteilen und Rollenbildern kämpfen müssen, berichtet aber die einstige IGN-Redakteurin Nicole Tanner. Sie hatte den Spielerinnen-Podcast "Girlfight" ins Leben gerufen.

Sie verweist auf den (mittlerweile offenbar entfernten) Mitschnitt des "Girlfight"-Panels auf der PAX-East-Spielekonferenz im Jahr 2010. Brianna Wu fand unter diesem zahlreiche Kommentare wie "Ich dachte, ich würde hier heiße Frauen zum Ansehen auf der Bühne finden. HAB ICH RECHT?" oder "Nur eine von fünf ist heiß, (…) die anderen gehören in die Küche."

Reaktionen wie diese würden belegen, dass in der Videospielindustrie Frauen nach wie vor oft als Sexobjekte gesehen würden und sich oft Kommentare bezüglich ihres Aussehens gefallen lassen müssten. Männern passiere das in einem solchen Umfang nur selten.

Brianna Wu

Nicht einfach "drüber stehen"

Eine andere oft vorgebrachte Meinung sei, dass Frauen einfach über der Belästigung stehen und sie nicht persönlich nehmen sollten. Doch die Realität sehe anders aus. Schmerzvolle Erfahrungen hinterließen Spuren und wirkten sich auf Opfer und ihr Verhalten aus.

So schildert Elise gegenüber Wu, dass ein Mann schon länger ein pornografisches Buch schreiben würde, das sich hauptsächlich um sie und ihn drehe. Er schicke ihr neue Kapitel stets anonym und ohne irgendeine Erklärung zu. Es sei gruselig und ekelhaft, sie fühle sich missbraucht.

Doch das größte Problem sei, dass sie nicht wisse, wer hinter den Texten stecke. Es könne jemand sein, mit dem sie sich normal auf Twitter austausche, oder jemand anderer, mit dem sie die ganze Zeit zu tun habe. Das Nichtwissen, sagt sie, verunsichere sie und erschwere eine ehrliche Bindung zu anderen Menschen.

Wu erinnert sich an eine Aussage der Paste-Games-Redakteurin Maddy Myers. "Man erholt sich nie wirklich von dieser Form des Missbrauchs. Man verändert sich einfach", sagte diese. Wu beobachte oft, dass Frauen angegriffen würden, weil sie zu streitbar seien – ein Verhalten, das aber lediglich eine Folgeerscheinung solcher Erfahrungen sein.

Keine Männerdomäne mehr

Ein weiterer Mythos ist, dass die Spieleindustrie ein Berufsfeld sei, das einfach mehr Männer als Frauen anziehe. Während die Branche sehr lange fast ausschließlich von Männern dominert war, ist diese Aussage heute nicht mehr haltbar. Doch vielen Männern scheine der Wandel Angst zu machen, und sie würden sich der Erhaltung ihrer ursprünglichen Strukturen verpflichtet füheln, beobachtete die Transgender-Frau Carolyn Petit.

Sie rechnete mit ihrem Arbeitsbeginn bei Gamespot mit dem lauten Protest eines gewissen Prozentsatzes heterosexueller Männer, die die Präsenz von Frauen an sich nur akzeptierten, wenn diese ihrer Unterhaltung diene. Auch dank der Hilfe ihrer Kollegin habe sie den hasserfüllten Reaktionen standhalten können und diese letztlich als Ausdruck der Angst einordnen und beiseitelegen. "Ich denke, die Industrie und unser Platz in ihr sind es wert, darum zu kämpfen", gibt sich Petit weiter kämpferisch.

Wandel

Die Branche, schließt Wu, erfahre gerade einen großen Wandel. Es gebe einen großen Bruch zwischen der Spielerschaft, die mittlerweile fast zur Hälfte aus Frauen bestehe, und der großen männlichen Mehrheit unter den Entwicklern und Journalisten.

Dass es nicht viele Frauen gebe, die sich für eine gerechte Balance einsetzen, liegt ihrer Meinung nach daran, dass das oft dem Betreten eines emotionalen Minenfeldes gleiche. Sich eine dickere Haut zuzulegen sei darauf die falsche Antwort, stattdessen müsse man weiter für die Sichtbarkeit der Frauen in der Spieleindustrie kämpfen. (gpi, derStandard.at, 24.7.2014)