Reinhard Kreissl: Keiner wagt sich aus der Deckung.

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Am Ende des Films Casablanca sagt der Polizeichef Renault zu seinem Untergebenen den berühmten Satz: "Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen." Die beiden im Film von der Gestapo gesuchten Figuren sind geflohen, und jetzt muss man halt so tun, als täte man polizeilicherseits was. Josef S. hat diese undankbare Rolle des üblichen Verdächtigen. Der Einsatz ist schiefgelaufen, das Kind in den Brunnen gefallen, jetzt braucht man einen Schuldigen, um nicht selbst als schuldig dazustehen.

Beschämend ist dabei die Rolle der Justiz. Sie erweckt den Eindruck, als spiele sie ein Spiel mit, dem sie eigentlich Einhalt gebieten sollte. Statt ihre Aufgabe als unabhängige und nur der rechtlichen Vernunft verpflichtete dritte Instanz wahrzunehmen, dämonisiert sie und prangert sie den "üblichen Verdächtigen" ebenfalls an. Das war, nach allem, was man hört, handwerklich schlecht gemacht. Rechtspolitisch ist es ein Armutszeugnis. Bleibt die Hoffnung, dass die nächste Instanz es besser kann.

Rollt man das Ganze rückwärts auf, werden Probleme, mit denen Richter und Anklagevertreter offensichtlich überfordert waren, sichtbar. Josef S. ist der Sündenbock, an dem ein Exempel statuiert werden soll. Wofür aber steht dieses Exempel? Für einen misslungenen, schlecht gemachten und ungenügend dokumentierten Polizeieinsatz? Für eine Gefährdung der Fensterscheiben in der Fußgängerzone durch Berufsdemonstranten, reisende Chaoten und staatsgefährdende Anarchisten?

Wie es beliebt. Die Reaktion in den Kommentaren zeigt, dass man sich aus beidem einen Reim machen kann. Was aber steht dahinter? Schlechte Polizeiarbeit? Gezielte Provokation - von wem? Auch hier sollte man die Luft etwas rauslassen. Es möchte wohl keiner in der Haut des verantwortlichen Polizeiführers stecken, der in einer solchen Situation agieren muss. Die Polizei wird immer dann gerufen, wenn die Politik versagt. Das gilt für den Bereich der Brot-und-Butter-Kriminalität ebenso wie für das Demonstrationsgeschehen. Wenn der Einsatz der Polizei dann noch mehr oder weniger direkt von politischen Interessen gesteuert ist, dann kann sie es eigentlich nur mehr falsch machen.

Damit sind wir dann beim Versagen der Politik. Die hat sich von den Veranstaltern des WKR-Balls ziemlich an der Nase herumführen lassen. Deren Pochen auf Tanz-, Feier- und Versammlungsfreiheit am historischen Ort der Hofburg war ein Possenspiel. Wer die Fachkraft Mölzer von der FPÖ am Tag nach den Protesten im Fernsehen argumentieren hörte, es sei doch nur um das Grundrecht auf friedliches freiheitliches Feiern gegangen, dem konnten die Tränen kommen - wohlgemerkt wegen lange anhaltenden schallenden Gelächters ob dieser Behauptungen!

Ohne Konfliktfähigkeit

Unverständlicherweise haben sich die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung seinerzeit dieser Argumentation angeschlossen und bedenkenlos einen Anspruch auf dieses Recht akzeptiert. War das Feigheit, organisierte Unverantwortlichkeit, billigendes Inkaufnehmen? Mit diesen Fragen landet man dann im Bereich der politischen Kultur.

Hier nahmen die Ereignisse, die uns die Justizposse Rädelsführer Josef S. beschert haben, ihren Anfang. Hier zeigt sich auch ein strukturelles Defizit, das man als mangelnde Konfliktfähigkeit bezeichnen könnte. Man eiert so lange herum, bis sich irgendetwas ergibt. Keiner wagt sich aus der Deckung, niemand bezieht Stellung, keiner wagt zu sagen, der Kaiser sei nackt - oder die beantragte Feierlichkeit in der Hofburg eine bewusste, gezielte politische Provokation.

Politik ohne Verantwortung

Es wäre durchaus möglich und im versammlungsrechtlichen Rahmen gewesen, den WKR-Ball an diesem Ort nicht zu genehmigen. Es wäre dies eine unbequeme, eine umstrittene und möglicherweise rechtlich angefochtene Entscheidung gewesen. Es wäre aber auch eine Entscheidung gewesen, die den weiteren Gang der Ereignisse verändert hätte. Nur hätte dann einer der verantwortlichen Akteure die Verantwortung übernehmen müssen. Es hätte eines Politikers bedurft, der dieses Risiko auf sich nimmt.

Leider gibt es davon hierzulande zu wenige und damit bleibt dann genügend Raum für diejenigen, die risikolos sich hinstellen und als Westentaschenradikale lauthals ihr Recht auf freies freiheitliches Singen und Tanzen in der Hofburg einfordern können. Am Ende bleibt dann ein junger Demonstrant auf der Strecke, der das ausbaden muss. (Reinhard Kreissl, DER STANDARD, 26.7.2014)