Kiew/Moskau - Australische Ermittler haben in der Nähe der Absturzstelle der MH17 einen neuen Wrackteil und weitere Leichen entdeckt. Das große Rumpffragment sei "wie aus dem Nichts" in einem Waldstück aufgetaucht, sagte OSZE-Sprecher Michael Bociurkiw. Er forderte eine detaillierte Überprüfung des Gebiets, um sicherzustellen, dass nichts übersehen wurde. Um den Ort vor unbefugten Eingriffen zu sichern, wollen Australien 190 und die Niederlande 40 Polizisten an die Absturzstelle schicken, die teilweise bewaffnet sein sollen.
Kiew hatte die Länder um Hilfe bei der Aufklärung gebeten, auch ein Vertreter der Rebellen schloss die Option nicht aus. Er könne aber nicht für die Sicherheit der Polizisten garantieren, schränkte er ein. In dem Katastrophengebiet wird weiterhin gekämpft. Rebellen warfen dem ukrainischen Militär vor, auch die internationalen Ermittler dabei zu beschießen.
Vorwürfe macht dem Militär auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: Die Verwendung von Raketenwerfern des Typs Grad in der Millionenstadt Donezk verstoße gegen humanitäres Recht, weil aufgrund der Ungenauigkeit auch Zivilisten getroffen worden seien, klagte die Organisation, die auch die Aufständischen des Einsatzes von Grad-Raketen bezichtigte.
Anschuldigungen gibt es allerdings auch gegen Russland: "Wir haben neue Hinweise dafür, dass die Russen schwerere und leistungsfähigere Raketenwerfer an die Separatisten in der Ukraine liefern wollen, und wir haben einen Hinweis darauf, dass Russland von seinem Territorium aus mit Artillerie auf ukrainische Militärstellungen schießt", sagte die Sprecherin des US-Außenamtes, Marie Harf. Beweise dafür konnte Harf nicht vorlegen, sie berief sich auf Angaben von Geheimdiensten "befreundeter Staaten".
USA drängen auf Waffenhilfe
Damit könnte durchaus die Ukraine gemeint sein, denn Kiew hat unlängst ähnliche Vorwürfe gegenüber Moskau erhoben. Das Land hofft zudem darauf, bald in den Status eines privilegierten Nato-Partners erhoben zu werden. Die USA würden ihre Partner dazu drängen, um der Ukraine Waffenhilfe zukommen zu lassen, sagte der ukrainische Ex-Geheimdienstchef Mykola Malomusch.
Während Kiew auf Rüstungshilfe hofft, droht Moskau der Abbruch jeglicher militärischer Zusammenarbeit mit dem Westen. Kanada hat nach dem Beispiel der USA neue Sanktionen gegen Russland verhängt, die vor allem den Rüstungssektor treffen. Italien hat Medienberichten zufolge die Zusammenarbeit an einem gemeinsamen U-Boot-Projekt eingestellt.
Die EU erwägt auf einem Sondergipfel kommende Woche, Wirtschaftssanktionen der Stufe drei zu verhängen, die Russlands Finanzmarkt treffen. Nach Angaben von Diplomaten will die EU keine Hochtechnologieprodukte mehr liefern, Spezialanlagen zur Öl- und Gasförderung nur noch beschränkt. Der Gassektor könnte aber ausgenommen bleiben.
Dies wiederum könnte Moskau zu scharfen Reaktionen provozieren: Bisher hat Russland auf die Indexierung russischer Politiker und Unternehmen mit einer eigenen schwarzen Liste reagiert. Laut einem Bericht des Telegraph soll ein hochrangiger russischer Diplomat gedroht haben, bei Sanktionen, die sich gegen ganze Wirtschaftszweige richteten, Aktiva britischer Firmen zu konfiszieren. Er warnte: "BP und Shell haben viele Aktiva in Russland." Offiziell wurde die Drohung dementiert. London gilt als Vorreiter für Sanktionen. (André Ballin, DER STANDARD, 26.7.2014)