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Bitterer Abschied: Sergej Stanischew

Foto: REUTERS/Stoyan Nenov

Sofia/Athen - Zwei Dutzend Bewerbungen für den Vorsitz einer Partei, die gerade zum erneuten Mal mit einer Regierung gescheitert ist, sind eine stattliche Zahl. Stunden nach Beginn des Parteitags der bulgarischen Sozialisten in Sofia am Sonntag schrumpfte die Zahl der Kandidaten für die Nachfolge von Parteichef Sergej Stanischew auf neun Genossen. Nur dreien wurden Chancen gegeben: dem noch amtierenden jungen Wirtschafts- und Energieminister Dragomir Stojnow, der bisherigen Vizeparlamentspräsidentin Maja Manolowa und dem Parlamentspräsidenten Michail Mihow, einem Vertreter des alten Establishments in der BSP. Der wurde es am Ende. Der 54-Jährige Jurist und frühere Innenminister setzte sich in einer Stichwahl gegen Stojnow durch.

Regierungschef Plamen Orescharski reichte vergangene Woche seinen Rücktritt ein; der Finanzfachmann will nach turbulenten 14 Monaten Amtszeit nicht mehr in der Politik bleiben, sondern Lesungen an der Universität geben. Vorgezogene Wahlen sind in Bulgarien für den 5. Oktober angesetzt, das Parlament wird am 6. August aufgelöst. Dazwischen regiert - wie schon vergangenes Jahr - ein Übergangskabinett, das der Staatschef und frühere Minister und Bauunternehmer Rosen Plewneliew zusammenstellt und das nur ihm verantwortlich ist.

Eines der drängendsten Probleme dieser Interimsregierung ist die Entscheidung über Konkurs oder Rettung der Corporate Commercial Bank. Mehrheitsaktionär ist Tswetan Wassilew, der sich noch in Wien aufhalten soll und dem die Staatsanwaltschaft Veruntreuung und Verstöße gegen die Kreditregeln vorwirft.

Skandalumwitterte Vergangenheit

Parteichef Stanischew zögerte lange mit der Aufgabe des Vorsitzes. Nach der Niederlage seiner Sozialisten bei den Europawahlen im Mai überlegte er ernsthaft, selbst das Premiersamt von Orescharski zu übernehmen, um der Regierung ein politischeres Profil zu geben. Dagegen regte sich aber in der BSP Widerstand. Stanischew führte bereits zwischen 2005 und 2009 eine von Skandalen geplagte Koalitionsregierung. Angesichts seiner geringen Popularität im Land hatte er sich nach den Neuwahlen 2013 entschieden, dem parteilosen Orescharski das Premiersamt zu geben.

Stanischew, Parlamentspräsident Mihow und der Chef der Koalitionspartei DPS, Ljutfi Mestin, waren es, die im Sommer 2013 eine Gesetzesänderung schrieben, mit der der umstrittene Abgeordnete und Unternehmer Deljan Peewski zum Chef der nationalen Sicherheitsbehörde gewählt wurde. Dies löste monatelange Straßenproteste aus.

Viele Ziele bleiben unerreicht

In Stanischews Abschiedsrede am Sonntag im Haus der Kultur in Sofia, einem Betonungetüm aus sozialistischen Zeiten, lag viel Bitterkeit. Er habe politisch vieles nicht erreicht, was ihn nun schmerze, bekannte der heute 48-Jährige. Stanischew hatte 2001 die Führung der BSP übernommen.

Wahlforscher und politische Kommentatoren in Sofia erwarten bei den Parlamentswahlen im Herbst ein Comeback des früheren konservativ-populistischen Premiers Boiko Borissow. Der trat Anfang 2013 zurück, als landesweite Proteste gegen hohe Stromrechnungen und die Armut in Selbstverbrennungen gipfelten. Borissow wird aus jetziger Sicht aber auf Koalitionspartner angewiesen sein, möglicherweise dem neuen "Reformatorenblock", der aus den Bürgerprotesten gegen die Regierung Orescharski hervorging. (Markus Bernath, DER STANDARD, 28.7.2014)