Es ist egal, wie das Hotel heißt — ob Majestic, Budapest oder Excelsior —, in der Lobby sitzen die Granden zusammen, jeder ihrer Wünsche umsichtig bedient, und bezahlen sich gegenseitig mit dem Falschgeld abschätziger Blicke. Das geht schon so eine Weile, der Raum wirkt ein wenig müde, die Sessel und die Bar sind mit gegerbter Unschuld bezogen. Im ersten Stock dieses Nobelhotels sind Zimmertüren, die sich öffnen und wieder schließen, so häufig wie in einem Stundenhotel. Hier werden, das ist von Anfang an klar, fragwürdige, aber auch faszinierende Spiele getrieben.
Er habe, summiert Don Giovanni, schon 1800 andere Frauen auf diese Weise getröstet. Ein entscheidender Satz. Alles an ihm ist Routine, die Verführung automatisiert, wie das Zusammensetzen eines Rubik’s Cube, einem geübten Bogenschützen gleich trifft er mit geschlossenen Augen jedes Mal das Ziel. Giovannis "Kunst" ist die Wiederholung der Wiederholung, er ist muskulöse Redundanz, er holt aus, wir atmen ein und murmeln: here he goes again … Seine Tragik liegt darin, dass seine Begierden ihn zu eingespielten Abläufen treiben, in denen er mehr Maschine als Mensch ist, ein unerbittliches Schürfrad. Alles, was existiert, (alles Weibliche) muss verbraucht werden. Don Giovannis Erfolg liegt in dem Willen zur Eroberung. Danach wirft er die Frauen auf den Müll der Entehrung.
Eine der Türen steht für Don Giovanni immer offen. Als Spekulant der Lust macht er in erfolgreichen Minutengeschäften. So wird die destruktive Interpendenz zwischen Verbrauch und Missbrauch zunehmend sichtbarer. Und die Gesellschaft investiert ihre geheime Bewunderung in leeren Gesten der Verdammung (leer, weil es erst einem Toten gelingt, diesen "Frevler" zur Strecke zu bringen).
In dieser Sittenwirtschaft dominiert die Mikroökonomie. Oper besteht aus Momenten, gelungene Inszenierungen aus präzise gesetzten Intarsien. Dieser „Don Giovanni“ hat derer viele: Don Giovanni erdolcht den Commendatore, indem er ihm mit dem Leib seiner Tochter die Sicht nimmt. Donna Anna erzählt in den Armen ihres Verlobten Don Ottavio, wie sie Don Giovannis Avancen abgestoßen habe, ihr Körper aber erzählt die gegenteilige Geschicht'. So präzise sind die Bewegungen choreografiert, man hat einige Male den Eindruck, die Musik sei extra für diese Inszenierung geschrieben worden.
Natürlich, das Ende, überwältigend wie immer, dieser glorreiche Moment, in dem Don Giovanni endlich etwas Einmaliges gelingt, er sich aus den Fesseln der routinierten Wiederholung befreit. Er reicht dem Tod mit dem größtmöglichen Mut die Hand, er wird im Moment seiner vermeintlich unvermeidbaren Bestrafung zu einem würdevollen Menschen. Gewitzt, wie Bechtolf den moralinspießigen Nachklapp konterkariert, indem alle Überlebenden erstarrt sind zu singenden Statuen, während Don Giovanni herumschlawinert, noch einen Kuss auf einen Nacken tupft, bevor er dem Zimmermädchen hinterherjagt, ein befreiter Mensch, ein versöhnliches Ende.
Höhepunkt
Die Besetzung: Noch nie habe ich eine so rundum grandiose Besetzung von "Don Giovanni" erlebt, jede Stimme (viele junge darunter) grandios, jede Rolle schauspielerisch ausgefüllt, die Figuren phänotypisch bestens getroffen (der wuchtige Commendatore, der schlaksige Leporello usw.), und als wäre dies nicht genug, sehen sowohl Frauen als auch Männer dort, wo es sein soll, verführerisch aus.
Coda
Am Ende einige Buhrufe für den Regisseur Sven-Eric Bechtolf, höchstwahrscheinlich politisch motiviert, denn dieser Inszenierung könnte man vielleicht Mängel vorhalten, keinesfalls aber ein Misslingen vorwerfen. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 28.7.2014)