Die deutsche Börsenzeitung und das Handelsblatt waren die ersten, die Gerüchte kolportierten, dass Daimler eine Beteiligung an MV Agusta prüft. Der italienische Motorradhersteller MV Agusta, im Besitz der Familie Castiglioni, soll noch nächstes Jahr – angeblich mit einem Anteil von 30 Prozent – an die Börse gehen. Ein weiterer Versuch, das gebeutelte Unternehmen wirtschaftlich zu retten.
Wir erinnern uns: 1927 beginnt die Firma von Graf Giovanni Agusta, die bis dahin Flugzeuge produzierte, mit dem Bau von Motorrädern und lagert 1945 die Motorradproduktion in ein eigenständiges Unternehmen aus. 1980 kam dann das Ende. Das Geschäft lief einfach nicht. 12 Jahr später kauft die Castiglioni-Gruppe den Markennamen MV Agusta.
Harley war schon da
Aber die Castiglionis haben ebenfalls so ihre Probleme mit der Marke und verkaufen diese 2008 an Harley-Davidson. Der Einstieg der Amerikaner sollte aber nur ein kurzes Intermezzo sein. Nur zwei Jahre später kauft Claudio Castiglioni die Marke zurück – weil, genau, Harley mit wirtschaftliche Schwierigkeiten kämpfte. Jetzt denken die Castiglionis den Börsengang an.
Wohl nur aus einem Grund: Um finanziell besser aufgestellt zu sein. So sehr dürfte die Italiener der Einstieg von Daimler also nicht schmerzen. Aber warum tut sich Daimler das an, könnte man fragen. Warum könnte der deutsche Autobauer bei einer Motorradfirma einsteigen wollen, die eine hochglänzende und bunt schillernde Randnotiz in den Zulassungsstatistiken ist? Eine offizielle Aussage dazu gibt es nicht – nicht einmal eine Bestätigung oder ein Dementi der Gerüchte.
Comeback eines Daimler-Reitwagens
Konzernintern dürften die Daimler-Entscheider zumindest keine größeren Probleme haben, den Erweiterung des Angebots um eine Motorradmarke durchzusetzen. Schließlich gelten die Schwaben als die Erfinder des Vorläufers des Motorrads.
Der 1885 von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach konstruierte Daimler-Reitwagen ist Teil des Gründungsmythos des Konzerns. Abseits der Sentimentalitäten hat jedoch BMW in den vergangenen Jahren bewiesen: Motorräder im Portfolio zu haben, kann ein gutes Geschäft sein. Bei BMW Motorrad feiert man gerade einen neuen Absatzrekord und ein Wachstum per Juni von 9,3 Prozent. 11.827 Motorräder und Maxi-Scooter hat das Unternehmen allein im Juni 2014 weltweit abgesetzt.
Der große Einbruch ist nicht absehbar. Mit der R 1200 GS ist der Spitzenreiter in den Verkaufszahlen alles andere ein Schnäppchen. Ab 17.400 Euro steigt man auf die Big-Enduro auf. 19.210 Euro kostet die Adventure-Version der großen GS, die Platz zwei in der Verkaufsstatistik von BMW belegt.
VW-Stachel im Fleisch
Um das Geld kaufen andere ein Auto – manche sogar zwei. Wenn es Daimler also schaffen würde, exklusive Motorräder – und die hat MV Agusta ja – unter dem Deckmantel der Zuverlässigkeit – daran müsste man noch arbeiten – zu vermarkten, dann könnte das langfristig ein gutes Geschäft werden.
Marketing ist ein wunder Punkt bei Daimler, wenn es um Motorräder geht. Denn die Stuttgarter arbeiteten in diesem Bereich mit Ducati zusammen – bis die VW Tochter bei Ducati zuschlug und den Motorradhersteller aus Bologna kaufte. Dabei schielte angeblich Daimler selbst auf dieses Geschäft und wollte, mit der eigenen Tochter AMG, Ducati übernehmen. Während sich Piech seinen Traum vom Zweirad erfüllt, geht Daimler leer aus.
Daimler sucht Frischzellen
Inzwischen gibt es schon Gerüchte darüber, ob VW nicht auch bei Fiat einsteigt. Dieses Gerücht bleibt ebenfalls unbestätigt, aber vor dem Hintergrund der Freundschaft der Familien Piech und Agnelli klingen sie nicht so an den Haaren herbeigezogen. Fiat braucht Geld – das hat VW. VW will einen Fuß auf amerikanischen Boden kriegen – das hat Fiat mit der Übernahme von Chrysler bereits geschafft. Zudem könnte der Volkswagen-Konzern vom italienischen Lifestyle profitieren, wenn sie es schaffen, diesen auf die Konzernmarken abfärben zu lassen.
Und das ist auch ein Punkt, der Daimler gefallen könnte. Die Autos von Mercedes-Benz machen gerade eine Frischzellenkur durch, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Da schadet das Licht einer traditionellen italienischen Motorrad-Marke auch nicht.
Wiederbelebung
Die Tradition an sich ist zudem ein weiterer Grund, warum Daimler wieder Motorräder im Portfolio haben möchte. Warum der VW-Konzern gerade Audi den Auftrag übergab, Ducati zu übernehmen, liegt ja wohl auch darin begründet, dass die Marke mit NSU und DKW einst Motorräder erzeugte. Sogar ein Audi-Motorrad gibt es – irgendwo in einer fest versperrten Kammer in Neckarsulm oder Ingolstadt – das aber nie in Serie ging.
Mit dem Reitwagen hat Daimler nicht nur ein Zweirad-Erbe, das man wieder aufleben lassen könnte. Sie sind die Begründer der Geschichte des Zweirades – und aller Motorfahrzeuge. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 28.7.2014)