Frühmorgens werde ich vom Appell des Vorgesetzten an die ihm unterstellten Polzeibeamt_innen wach. Im Hinterhof des Nachbarhauses hat die Polizei Quartier bezogen, auf Abruf für die Räumung der Pizzeria Anarchia. Eine Runde mit dem Fahrrad durch das Grätzel kurz vor acht Uhr zeigt ein Bild von Besetzung: die meines Bezirks durch die Polizei.

Ruhelos umkreise ich die Sperrzone, die Besetzer_innen der Pizzeria sind meine Nachbarn, und ich versuche mir auszumalen, welche Gefahr von ihnen ausgehen kann, die einen Einsatz dieser Größenordnung verlangt. Im Laufe des Räumungseinsatzes wird viel geredet, getratscht und ausgetauscht im Bezirk. Einiges steht in der Zeitung, und am Ende des Tages bleibt in den Mainstream-Medien die Frage stehen, was der Einsatz kostet und ob irgendjemand für die vermeintliche Unverhältnismäßigkeit zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Ich halte die Frage für legitim, aber meine auch, dass sie verschleiert, welche wesentlicheren Erkenntnisse ein Tag wie dieser noch bringen kann:

1) Die österreichische Polizei kann es sich leisten, einen riesigen Einsatz zumindest zeitweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen.

Die Pizzeria wurde schon länger überwacht. Es muss im Vorfeld klar gewesen sein, welche Gefahr von den Hausbesetzer_innen ausgeht. Nach dem Akademikerball und dem Urteil gegen Josef S. empfinde ich das Aufgebot als Machtdemonstration, Einschüchterung, die Ansage, dass gegen subversive Kräfte mit allen Mitteln vorgegangen wird. Ich fühle mich angesprochen.

Am Morgen wird Journalist_innen der Zutritt in die abgesperrten Straßenzüge verwehrt, später wird selektiv eingelassen oder ausgesperrt. Am Rande der Sperrzone scheint es, dass sich die Journalist_innen, sobald sie zugelassen werden, nicht mehr weiter darüber beschweren, dass bestimmte Kolleg_innen nicht oder nicht gerade jetzt hineindürfen. Und so wird diese demokratiepolitisch höchst problematische Policy weiterhin kaum diskutiert und bis zum Abend in der Berichterstattung weitgehend fallengelassen.

Offenbar kann es sich die österreichische Polizei leisten, einen riesigen Einsatz zumindest zeitweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen. Wo kein Kläger da kein Richter.

2) Die Polizei ist ein weitgehend in sich abgeschlossener Körper in unserer Gesellschaft, der nicht auf das Wohlwollen der öffentlichen Meinung angewiesen ist.

Im Laufe des Tages gibt mir dann noch etwas anderes zu denken. Die Summe der Polizisten und Polizistinnen gibt in dieser unheimlichen Masse ein sehr homogenes Bild ab. Besonders die Jungen unter ihnen wirken in Gestus, Habitus und Sprache - auch abgesehen von der Uniform - uniform.

Ich komme mit einigen Beamt_innen in Kontakt, und dabei fällt mir auf, wie sich das Verhalten mir gegenüber je nach Situation ändert. Stelle ich eine Frage als Anrainerin, ordentlich gekleidet mit meinem Wohnungsschlüssel in der Hand, begegnet man mir als junger Frau zumindest augenzwinkernd und freundlich. Stehe ich eine Stunde später als Sympathisantin der Pizzeria-Bewohner_innen mit ein paar Bekannten aus der Nachbarschaft an der Absperrung, ist der Tonfall gleich ein anderer.

Ein Blick auf uns als plaudernde Gruppe genügt für die Beamt_innen wohl, uns als unerwünscht einzuordnen. Wir werden von einer jungen Frau in Uniform aufgefordert, uns nicht an ein parkendes Auto zu lehnen. Meine Freundin fragt, ob das denn verboten sei. Die Beamtin wird unwirsch und fährt uns an: "Wenn Sie das Auto zerkratzen, haben Sie den Scherben auf.“ - Der Tonfall ist genervt und belehrend, wir sollen merken, dass es hier ein Gefälle in der Autorität gibt, sie weist uns in die Schranken, und zwar vor unserer eigenen Haustüre, wo wir an unserem eigenen Auto lehnen.

Es ist eine Kleinigkeit, ein Wechsel nur im Tonfall, aber es ist auch eine klare Ansage: Die Exekutive befindet in der Situation nach ganz subjektiven Kriterien im jeweiligen Kontext darüber, wer Teil jenes Volkes ist, dem sie dient. Es geht also um einen ersten Eindruck, und das betrifft alle, sogar wenn sie weiß und bürgerlich aussehen, und besonders, wenn sie nicht weiß und nicht bürgerlich aussehen.

Wäre es also nicht angebracht, im Interesse aller einzufordern, dass eine Polizei in ihrer Zusammensetzung jener heterogenen Gesellschaft entspricht, der sie dient? Der Blick des Menschen, die Kriterien, nach denen er bewertet, sind in höchstem Maße sozialisiert. In der Polizei muss es Menschen mit unterschiedlichen Lebenshintergründen, Erfahrungen und Haltungen geben, damit eine Exekutive tatsächlich im Sinne eines Volkes in seiner Vielfalt arbeiten und sich selbst ein Korrektiv sein kann. Das ist in Österreich nicht der Fall.

3) Wien ist keine Insel mehr, leistbares Wohnen war gestern, und es fehlen politische Maßnahmen, die dieser Entwicklung entgegenwirken.

In letzter Konsequenz liegt der ganzen Aktion das Thema leistbares Wohnen zugrunde. Noch vor ein paar Jahren haben unsere Besucher_innen aus ganz Europa neidisch auf die Wohnungssituation in Wien geschaut. - Diese Zeiten sind vorbei.

Die Praktiken der Eigentümer des Pizzeria-Hauses sind in Städten, die viel früher als Wien zum Schauplatz der maßlosen Kommerzialisierung von Wohnraum geworden sind, längst keine Neuigkeit mehr. Wir könnten also aufhören, uns darüber zu empören, dass für den höchstmöglichen Ertrag mit solchen Mitteln vorgegangen wird, und stattdessen fragen, ob man eine politische Lösung finden kann, um das zu stärken, was eigentlich die Lebensqualität in dieser Stadt ausmachte - nämlich Wohnräume, die für alle Einkommensklassen leistbar sind -, und dem entgegenzuwirken, was die Verschärfung sozialer Ungerechtigkeit anfeuert, nämlich die Segregation von Arm und Reich in ihren jeweiligen Wohnghettos.

Das fände ich wichtiger, und eher wert, sich zu empören, als eine polemische Diskussion darüber, wer für die Kosten des Polizeieinsatzes aufkommen muss, der nichts anderes ist als ein sehr reales Abbild der herrschenden Verhältnisse. (Katharina Mückstein, derStandard.at, 29.7.2014)