Während sich die großen Publisher mit dem Blick aufs alles entscheidende Weihnachtsgeschäft traditionell ihre Releases fürs letzte Quartal aufheben - und sich dabei zum Teil heftigste Konkurrenzschlachten um das Gamesbudget ihrer Kunden liefern -, gibt es bei den kleinen Unabhängigen eigentlich keine Saure-Gurken-Zeit mehr. Monat für Monat erscheinen mehr Independent-Spiele - und das Early-Access-Modell hat diese Flut nur noch vergrößert.

Die bemerkenswertesten Frühstarts verdienen es, auch hier Erwähnung zu finden. Aktuell lassen sich etwa das hinreißend originelle “Sunless Sea”, und das düstere “Darkwood” per Early Access besuchen. Auch ein österreichischer Lokalmatador wirbt bereits vor der Fertigsteller um neugierige Spieler: Das originelle “Son of Nor” der Tiroler Entwickler stillalive ist seit kurzem für Unerschrockene als Work in Progress zu besichtigen.

Chris Polus von stillalive begründet den Schritt zum Early Access so: “Early Access ist für uns einfach eine super Gelegenheit mit der Community in Kontakt zu kommen und das Geschehen noch etwas an deren Vorlieben anzupassen und in die richtigen Bahnen zu lenken - für ein Indie-Studio extrem wertvoll.” “Son of Nor” kann sich jetzt schon sehen lassen: Als mächtige Zauberer werfen Spieler im vielversprechenden Action-Puzzler aus der Third-Person-Perspektive nicht nur mit Kampfmagie um sich, sondern manipulieren gleich die gesamte Umgebung und verknüpfen Zauber zu besonders effektiven Kombinationen - ein Spieletipp nicht für patriotische Indie-Freunde.

Wer seine Spiele trotzdem lieber fertig releast hat, kann jetzt aufatmen: Hier sind die bemerkenswertesten Indie-Spiele der letzten Wochen - allesamt ausgebacken und genau das Richtige für einen wechselhaften Sommer.

Foto: Son of Nor

Divinity: Original Sin (Windows, Mac 39,99 Euro)

Ein Hochglanz-Indie zu Beginn: Das per Kickstarter und Early Access finanzierte Fantasyrollenspiel aus der soliden “Divinity”-Reihe ist so etwas wie der feuchte Traum aller Freunde klassischer Oldschool-RPGs. Wer “Baldur’s Gate”, “Neverwinter Nights” , aber auch der “Ultima”-Reihe heiße Sehnsuchtstränen nachweint, wird sich ins Mammutrollenspiel der belgischen Entwickler Larian verlieben. Rundenbasierte Kämpfe, eine wahnwitzig detaillierte Welt, witzig-komplexe Charaktere und Dialoge machen “Original Sin” sowohl solo als auch im Coop-Modus zu zweit zum erfrischend klassischen Rollenspielerlebnis. Dank mächtiger Editoren wird auch die Fangemeinde für Nachschub sorgen, doch schon die jetzt spielbare Kampagne verdient die Bezeichnung “episch”. Trotz äußerlicher Ähnlichkeit mit “Diablo” & Co ist das Spiel nichts für Action-Monstertotklicker auf der Suche nach dem nächsten Loot-High: Das Tempo ist gemächlich, die Bedienung manchmal einen Hauch umständlich - alte Schule eben. Für Rollenspielkenner Pflicht und Beschäftigung für viele, viele Stunden; näher kommt kein aktuelles Spiel an die großen Klassiker des Computerrollenspiels heran.

Foto: Divinity: Original Sin

Abyss Odyssey (PS3, XBox 360, Windows ca. 14,99 Euro)

Endlich wieder Indie-Stoff für Konsolen, und was für welcher: Das chilenische Studio ACE Team, bekannt durch seinen bizarren First-Person-Brawler “Zeno Clash”, zaubert mit “Abyss Odyssey” einen faszinierenden Geheimtipp für Freunde von Fighting Games, Rogue-like-likes und Actionrollenspielen auf die Bildschirme - und das mit unnachahmlichen Stil und einer Grafikpracht, der die unbewegten Screenshots nicht gerecht werden. Im Single-Player-Modus kämpfen sich Spieler durch eine immer wieder neu prozedural generierte Abfolge von Levels im Beat’em-up-Stil nach unten zum Bösewicht. Auf dem Weg dorthin lassen sich die Seelen getöteter Monster einsammeln, worauf diese als Spielfiguren zur Verfügung stehen, Coop- und Versus-Modi runden das Paket ab. Das Spielgerüst von “Risk of Rain”, “Rogue Legacy” oder “Spelunky”, das Brawler-Gameplay von “Super Smash Bros” und eine unnachahmlich exotische Jugendstil-Ästhetik machen “Abyss Odyssey” zum Ausnahmespiel mit Suchtpotenzial. Wer sich vom auf den allerersten Blick etwas träge reagierenden Steuerungsstil nicht abschrecken lässt, bekommt einen einzigartigen, grafisch außergewöhnlichen Genre-Hybriden, der sich im Gegensatz zu den genannten hammerharten Rogue-like-likes auch von Nicht-Masochisten tatsächlich bezwingen lässt. Ein kleiner, geheimer Sommerhit.

Foto: Abyss Odyssey

Unrest (WIndows, Mac, Linux 11,99 Euro)

Ein “Best of Indie” mit gleich zwei Exoten: Nicht nur in Chile, auch in Indien entstehen Indie-Spiele, und auch “Unrest” ist ein Ausnahmespiel. Das auf Kickstarter finanzierte Adventure-Rollenspiel versetzt seine Spieler in ein mythisches, mittelalterliches Indien, das allerdings mit den bekannten Fantasyklischees überhaupt nichts zu tun hat. Aus verschiedenen Blickwinkeln beschreibt “Unrest” in kurzen Kapiteln eine soziale Ausnahmesituation, in der Fremdenhass, Armut, Extremismus, Kastenwesen, religiöser Wahn und Gewalt zum Alltag gehören. Mit wechselnden Spielfiguren aus verschiedensten sozialen Schichten durchwandern Spieler die liebevoll handgemalte Welt, nehmen kleinere und größere Missionen an und treffen immer wieder moralische und ethische Entscheidungen, die zum Teil drastische Konsequenzen haben. Technisch bleibt “Unrest” unspektakulär, doch die superb geschriebene Story um das mythische Schlangenvolk der Naga und ihr Aufeinandertreffen mit einer realistisch gezeichneten indischen Feudalgesellschaft lädt dank weitreichender Entscheidungsfreiheit zum wiederholten Durchspielen ein. Ungewöhnlich und spannend - Lesefreudigkeit und solide Englischkenntnisse vorausgesetzt.

Foto: Unrest

Gods Will Be Watching (Windows, Mac, Linux 8,99 Euro)

Um drastische Entscheidungen geht es auch in “Gods Will Be Watching”, das vom Ludum-Dare-Experiment ebenfalls per Crowdfunding zum vollständigen Spiel herangereift ist. Das komplexe Science-Fiction-Puzzle-Adventure im meisterhaft umgesetzten Pixel-Art-Stil stellt Spieler vor knifflige Situationen: Bei Geiselnahmen, Folterszenen und anderen düsteren Kurzszenarios heißt es, kühlen Kopf bewahren und per rundenweisen Entscheidungen teils sehr heftige Szenen zu überstehen. Dabei sind es allerdings im Unterschied zu “Unrest” weniger die erzählerischen Dialogentscheidungen, die den Fortgang der Handlung beeinflussen, sondern das vorsichtige Balancieren und Mikromanagen der von Szenario zu Szenario unterschiedlichen Parameter. Mit seiner harten Thematik und unbarmherzigem Trial & Error ist “Gods Will Be Watching” ein bis ans körperlich Unangenehme gehender, durchaus stressiger Krisensimulator, der seinen Spielern nicht nur starke Nerven, sondern auch Geduld und Frustresistenz abverlangt. Wer sich den Herausforderungen stellt - und dabei ist das Umstellen auf den “Easy”-Schwierigkeitsgrad keine Schande -, wird durch eine packende, wenn auch fragmentierte Handlung und einen interessanten Schluss belohnt.

Foto: Gods Will Be Watching

Nightmare Cooperative (Windows, Mac, Linux 9,99 Euro)

Nach all den harten Entscheidungen und düsteren Szenarien zum Abschluss ein wenig leichtere Muse - doch auch “The Nightmare Cooperative” taugt mit seinen kniffligem Puzzle-Gameplay mit Rogue-like-Elementen nur bedingt zur Entspannung. Wer Michael Broughs faszinierendes “868-Hack” http://868-hack.neocities.org/ oder aber den Mobile-Hit “Dungelot” kennt, hat eine ungefähre Ahnung von der Komplexität, die rundenbasierte Rogue-like-Puzzler entfalten können, doch hier ist alles noch einen Tick verschärft: Auf 9x9 Feldern bewegt man bis zu vier Fantasy-Helden durch tödliche, prozedural generierte Kerker voller Fallen, Monster und Schätze - und zwar immer alle Helden zugleich. Dieser simple Gameplay-Kniff macht “The Nightmare Cooperative” zur taktischen Angelegenheit, da der Schritt nach Norden unter Umständen für drei Helden ungefährlich, für den vierten aber durchaus tödlich ist. Freispielbare Charaktere mit unterschiedlichen Fähigkeiten, stylische Grafik und schier endlose Wiederspielbarkeit machen “The Nightmare Cooperative” zum originellen kleinen Dungeon-Crawler mit Pfiff. Wer sich ein Bild machen will, kann sich am kostenlosen Prototypen versuchen.

Foto: The Nightmare Cooperative

Und sonst?

Freunde der klassischen UFO-Bekämpfung werden sich am Remake DES Klassikers erfreuen, der im Gegensatz zur Neuauflage “XCOM - Enemy Unknown” das Spielerlebnis der Original “X-Com”-Reihe aus den Neunzigern in die Gegenwart rettet: Nach fünf Jahren Entwicklungszeit ist mit “Xenonauts” (WIndows, Mac, Linux, 19,99 Euro) die wohl vollständigste Hommage an das Original endlich erschienen - komplex, hart und eine echte Herausforderung für Strategen.

Wer die Herausforderung liebt, wird auch “OlliOlli” ins Herz schließen, wenn auch aus anderen Gründen: Das schnelle, knifflige Skateboardspiel ist von Sonys Playstation Vita nun auch zu Windows, Mac und Linux migriert und sorgt ab sofort auch hier für freudige Stressmomente.

Zum Runterkommen empfiehlt sich wiederum ein ganz anderer Ausnahmetitel, der die Bezeichnung “Spiel” mit einem Augenzwinkern bis an die äußersten Toleranzgrenzen ausdehnt: In “Mountain” (Windows, Mac, Linux, iOS, 0,99 Euro) setzt uns Filmemacher David OReilly vor einen extra für uns generierten, im Weltall schwebenden Berg und verlangt - nichts. Ein Relax ‘em up der esoterischen Sorte, das auch auf dem hektischsten Desktop für sanfte Kontemplation und allerhöchstens Interpretationsbedarf sorgt - Balsam für die gestresste Gamerseele. (Rainer Sigl, derStandard.at, 30.07.2014)

Foto: Xenonauts