Doo-wop am Telefon, und ein weiterer Hit der Four Seasons entsteht. Von links: Vincent Piazza, Erich Bergen, John Lloyd Young und Michael Lomenda in und als "Jersey Boys".

Foto: Warner Bros.

Wien - Was ist das bloß für eine Stimme? Einmal hoch und glockenhell, dann wieder rau wie Schmirgelpapier, nahe am Krächzen und Kippen. Den örtlichen Mafiapaten rührt ihr Gesang zu Tränen, den lokalen Radio-DJ treibt sie in seligen Wahnsinn: "Sind das vier Schwarze? Ist das eine Frau mit drei Männern?" Nein - es sind Frankie Valli mit seinem ungewöhnlichen Falsettgesang und die anderen drei, harmonisch einfallenden Mitglieder der Four Seasons, die in den 1960er-Jahren von Newark, New Jersey, aus die Hitparaden erobern.

Die lebenslängliche Verankerung des später gefeierten Quartetts in seiner italoamerikanisch geprägten, proletarischen Nachbarschaft spiegelt sich im Titel "Jersey Boys" wider. So hieß schon das preisgekrönte Bühnenmusical (Premiere am Broadway: 2005), auf dem Clint Eastwoods jüngster Kinofilm basiert. Und dieses Milieu - samt Christopher Walken als Mobster Gyp DeCarlo - bildet auch das Rückgrat der Erzählung, daran sind Evergreens wie "Sherry", "Big Girls Don't Cry", "Walk Like a Man" und "Can't Take My Eyes Off You" befestigt. "Jersey Boys" ist schließlich ein sogenanntes Jukebox-Musical, das (wie schon "Mamma Mia!") von einem etablierten (pop-)musikalischen Repertoire ausgeht.

Die Erzählung und die Figuren sind entsprechend schematisch: beruflicher Aufstieg und privater Fall, Freundschaft, Verrat und Versöhnung, unerschütterliche Integrität unseres Helden Frankie, mit den Jahren und Moden wechselnde (und wachsende) Haarteil- und Kostümextravaganzen. Regisseur Eastwood setzt auf eine gelassen-gediegene Inszenierung - nicht nur die zart verblichene Farbpalette lässt an längst vergangene Zeiten und Hollywood-Studiokino denken. Aber weil sich einzelne Figuren in "Jersey Boys" immer wieder auch direkt in die Kamera, ans Publikum wenden, den Fortgang der Geschichte raffen oder kommentieren, entsteht ohnehin ein Distanzierungseffekt und somit eben weder ein klassisches Musikanten-Biopic noch ein großes Sozialdrama.

Synchrone Beinarbeit

Gerade im Hinblick auf die Musiknummern funktioniert dieses Erzählkonzept gut, das äußerlich der Chronologie der Ereignisse folgt - von den Anfängen des singenden Friseurlehrlings Francesco Stephen Castelluccio in den frühen 1950er-Jahren bis zur Aufnahme der Four Seasons in die "Hall of Fame" des Rock 'n' Roll anno 1990: Eastwood, bekennender Musikliebhaber und bereits mit dem Charlie-Parker-Biopic "Bird" 1988 einschlägig filmisch befasst, führt die Songs wie über einen roten Teppich. Sie werden hochkonzentriert und zugleich furios dargeboten. "Snappy", auf den Punkt, aber dabei nicht glattpoliert in Harmoniegesang und synchroner Beinarbeit.

Die handwerkliche Perfektion ist erst die Voraussetzung, das Alberne, Kindische, Antiquierte genauso wie das Überbordende, Wilde, Uneindeutige, Queere zu inkludieren, mit dem die grundsätzlich jugendfrei ausgerichtete Musik der Four Seasons, dieser Blaupause für spätere Boygroups und Hitfabriken, aus heutiger Sicht auch überrascht.

Die Darsteller seiner Four Seasons hat Eastwood - mit Ausnahme von Vincent Piazza, der Frankies Antagonisten Tommy DeVito spielt - aus der Bühnenfassung übernommen: Erich Bergen als Bob Gaudio - der mit Produzent und Texter Bob Crewe wesentlicher Songschreiber war -, Michael Lomenda als Bassist Nick Massi und natürlich John Lloyd Young als Frankie Valli.

Neben der erwähnten Brillanz als Showmen haben diese vier überhaupt keine Scheu vor punktuellem schauspielerischem Outrieren: Wie Letzteres bruchlos mit "outrage" zusammenhängt, zeigt Lomenda in einer großartig hölzernen Empörungsperformance.

Und am Ende gibt es noch eine veritable Musical-Hommage, alles tanzt befreit in den Studiostraßen - und Broadway-Veteran Christopher Walken darf aus der Mafiapatenrolle fallen und auch ein bisschen mitshaken. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 31.7.2014)