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Der ermordete Imam Jume Tahir galt als regierungsnahe Stimme gegen uigurischen Extremismus.

Foto: REUTERS / Reuters TV

Die Ermordung des religiös-politischen Oberhaupts der islamischen Gemeinschaft in Chinas Nordwestprovinz Xinjiang hat Schockwellen bis nach Peking ausgelöst. Imam Jume Tahir, seit 2003 Vorsteher der 1442 erbauten Id-Kah-Moschee in Kashgar, die eines der größten islamischen Gotteshäuser Chinas ist, war am Mittwoch auf dem Vorplatz der Moschee von drei Männern erstochen worden. Augenzeugen sprachen in Radio Free Asia von einer Hinrichtung des Vizepräsidenten der staatlich genehmigten Islamvereinigung.

In der von ethnischen Unruhen geplagten Provinz ist es das zweite Attentat auf einen religiösen Würdenträger, der aufseiten Pekings stand. 2013 war der Imam Abdurehim Damaolla in Turpan erstochen worden. Auch er hatte sich gegen Extremismus ausgesprochen, war aber weniger prominent als Tahir, der dem chinesischen Volkskongress angehörte.

Dort hatte er 2010 zur "Wachsamkeit" gegen alle "in- und ausländischen Feinde" aufgerufen, die sich in Xinjiang den Islam zunutze machten, "um Akte der Sabotage und Abspaltung zu verüben und Zwietracht zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu säen". Die Ermordung wurde in Chinas Hauptnachrichten prominent gemeldet und von chinesischen Führern als abscheuliches Verbrechen verurteilt.

Xinhua berichtete in der Nacht auf Freitag erstmals Einzelheiten des Anschlags. Zwei der drei als Attentäter beschuldigten Uiguren seien noch am Mittwoch gestellt und erschossen worden. Der dritte mutmaßliche Mörder konnte festgenommen werden. Alle drei seien "vom religiösen Extremismus" beeinflusst.

Terroristische Attacken in Xinjiang nähmen kein Ende, warnte die amtliche Nachrichtenagentur in einem Kommentar zu der Bluttat. Sie diene als Mahnung, wie nötig "hartes Durchgreifen und entschiedene Aktionen gegen Terrorismus" seien. Die Agentur deutete verschärfte Maßnahmen an.

Lage verschärft

Der Anschlag auf den Imam hat die gespannte Lage in Xinjiang weiter eskaliert. Am Montag war es zu einer Explosion der Gewalt in Vororten von Kashgar gekommen. Messer und Äxte schwingende Uiguren griffen Polizeistationen und Regierungsgebäude in zwei Landgemeinden im Kreis Shache der Präfektur Kashgar an. Sie hätten wahllos Bürger auf der Straße attackiert, zahlreiche Polizeiwagen und andere Fahrzeuge zerstört, melden offizielle Stellen. Konkrete Details stehen aber unter Nachrichtensperre. Laut uigurischen Exilorganisationen soll die Polizei als Reaktion bis zu 100 Uiguren getötet haben. Erst am 22. Mai war es auf einem Straßenmarkt in der Provinzhauptstadt Ürümqi zu einem Terroranschlag mit 31 Toten gekommen.

Peking macht für die jüngste Serie an Gewalttaten islamistische und politische Extremisten sowie Exilorganisationen verantwortlich. Sie würden Terroranschläge von außen planen oder dazu anstacheln, um die Abspaltung der Provinz als Islamische Republik Ostturkestan zu erzwingen. Xinjiang kam 1949 im Zuge des chinesischen Bürgerkriegs an die spätere Volksrepublik China. Exilorganisationen sehen hinter den Unruhen dagegen vor allem hausgemachte Gründe. Sie werfen Peking kulturelle und religiöse Unterdrückung der Uiguren vor. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 2.8.2014)