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"Das ist so ein Traum von mir - dass die Bilder zum Umfeld werden, selbst Architektur werden": Dies gelingt Gerhard Richter mit "4900 Farben", perfekt gehängt in der Fondation Beyeler.

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Gerhard Richter demonstriert die Bandbreite der Abstraktionsmöglichkeiten: zwei ...

Foto: Katalog / Gerhard Richter

... der fünf Variationen von "Verkündigung nach Tizian" (1973) - nun gemeinsam in der Foundation Beyeler.

Foto: Katalog / Gerhard Richter

Er verfolge, sagte Gerhard Richter einmal, "keine Absichten, kein System, keine Richtung" - und er "habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen". In der Tat scheint Richter, 1932 in Dresden geboren und 1961 in den Westen geflohen, schwer zu fassen: Er sorgte im letzten halben Jahrhundert unter anderem für abstrakte Farbexplosionen - und er malte mausgraue Bilder. Er näherte sich der Pop-Art an - und er stellte seinen minimalistischen Kompositionen liebliche Porträts gegenüber.

Trotz dieser scheinbaren Widersprüche hängt in Richters vielschichtigem wie vielfältigem, auf Kontrasten und Gegensätzen aufgebautem OEuvre alles mit allem zusammen. Das macht die Schau Bilder/Serien in der Fondation Beyeler im Basler Vorort Riehen auf exemplarische Art deutlich. Sie widmet sich den Zyklen, also den geschlossenen Werkgruppen, und diversen Serien, darunter den sogenannten Seestücken, zu denen Richter vom Romantiker Caspar David Friedrich und dessen Polarbildern inspiriert wurde.

Doch die Schau arbeitet nicht nur diesen wesentlichen Aspekt anhand wirklich zentraler Arbeiten heraus: Hans Ulrich Obrist ergänzte die Serien und Zyklen, in denen Richter seine Meisterschaft im großen Format demonstriert, mit Einzelbildern, die in der Regel kleinformatig sind. Bilder/Serien, bis in den letzten Raum hin perfekt gehängt, ist daher nicht nur eine vollwertige, sondern auch eine spannungsgeladene Retrospektive. Im Saal 7 zum Beispiel prallen die vier Gemälde des abstrakten Bach-Zyklus auf zwei pastellige Porträts junger Mädchen.

Der Bach-Zyklus (1992), quadratische Gemälde in satten Rot-Blau-Grün-Tönen, steht in engem Zusammenhang mit dem sechsteiligen Cage-Zyklus (2006), der zwei Räume entfernt präsentiert wird: Richter schätzt die Musik von Johann Sebastian Bach und John Cage (sowie von Steve Reich). Zudem haben die Gemälde mit einer Seitenlänge von drei Metern das gleiche Format. Und bei beiden Zyklen war die Arbeitsweise eine ähnliche: Richter trug die Farben in mehreren Schichten auf und verstrich sie mit der Rakel, einer langen Acrylglasplatte, die deutliche Schleifspuren hinterlässt. Sie ist aufgrund ihrer Unhandlichkeit weniger kontrollierbar als der Pinsel - und gibt damit dem Zufall größeren Spielraum.

Die zwei Mädchenporträts hingegen entstanden, wie so oft bei Richters gegenständlichen Bildern, nach Fotografien. Wiewohl aus unterschiedlichen Jahren, haben sie erstaunliche Ähnlichkeiten: Keine der beiden Porträtierten hat ihren Blick dem Betrachter zugewandt. Im Zentrum steht das lose geflochtene, sanft fallende Haar. Betty von 1988 hat längst ikonenhaften Status; und die Lesende (1994) - gleich groß, aber querformatig - verweist auf Vermeers Briefleserin am offenen Fenster.

Von diesen Porträts ist es thematisch nicht weit zum intimen Zyklus S. mit Kind (1995), den Obrist geschickt mit den echt kalten Wintermonat-Diptychen Januar, Dezember und November (1989) kontrastiert. Richter, der mit Mutter-Baby-Porträts den Topos der Madonnenbilder aufgreift, hat die Malschichten in wechselnder Intensität bearbeitet, sodass acht Werke mit unterschiedlichen Oberflächenstrukturen und Abstraktionsgraden entstanden sind.

Die Bandbreite der Möglichkeiten illustriert er auch mit Verkündigung nach Tizian (1973): Richter wollte Tizians Gemälde für sich nachmalen, aber es gelang ihm nicht, "eine halbwegs ansehnliche Kopie zu machen". So entstanden insgesamt fünf Variationen. Das Gemälde mit der stärksten Unschärfe ist aber nicht die letzte, sondern die zweite Fassung: Die ersten beiden Versionen stecken quasi den Rahmen ab. Mit dem Verwischen kaschiert Richter, wie er eingesteht, Fehler: Wenn ihm Details nicht gelungen erscheinen, macht die Verwischung "Bilder ein bisschen vollkommener".

Paradigmatische Wand

Den größten Gegensatz zu den verwischten, weichgezeichneten Bildern bilden wohl die strengen Farbtafeln, mit denen Richter seit 1966 experimentiert. Ausgangspunkt der Schau ist die paradigmatische Wand 1024 Farben von 1973. Zu sehen sind eben 1024 Farbmuster, die Richter aus den drei Grundfarben plus Grau entwickelte. Die Verwendung von noch mehr Farbtönen (etwa 4096) erschien ihm sinnlos, da die Unterschiede nicht mehr sichtbar wären. Sichtbar aber ist, dass er die Lackfarben mit dem Pinsel auf die rechteckigen Tafeln auftrug. Später gelangt man in einen fast sakralen Raum mit wahllos zusammengewürfelten Farbtafeln. Richter bedient sich hier nicht nur des Zufallprinzips, er untergräbt auch das Prinzip der Autorschaft: Die hoch glänzenden 4900 Farben (2007) wurden im Spritzverfahren auf Alu-Platten aufgetragen.

Natürlich stößt man auch auf graue Bilder; das Grau entstand durch das Vermischen aller Buntfarben - und es ist für Richter eine eigene Farbe: "Manchmal ist sie mir die wichtigste." Mit Doppelgrau von 2014 endet auch die Ausstellung. Dass Richters Werke eine derartige Wucht entwickeln können, ist auch der grandiosen Architektur geschuldet. Die Albertina, die 2009 eine Richter-Retrospektive zeigte, kann da leider nicht mithalten. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 4.8.2014)