
Weniger Lärmschutzwände entlang von Autobahnen und Schnellstraßen - das könnte ein Motiv für die neue Verordnung sein, die das Verkehrsministerium mitten im Sommer und ohne öffentliche Begutachtung durchziehen will. Erklärtes Ziel ist Rechtssicherheit - vor allem für den staatlichen Autobahnbauer Asfinag
Wien - Das Verkehrsministerium will offenbar einen Turbo für umstrittene Autobahnen- und Schnellstraßenbauten wie die Verlängerung der Nordautobahn A5 (bis zur Staatsgrenze), S3 Weinviertler Schnellstraße, S8 Marchfelder Schnellstraße und S7 Fürstenfelder Schnellstraße zünden. Der Weg führt über die neue Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung, mit der Lärmmessungen vereinfacht, zumutbare Schallobergrenzen festgelegt und Genehmigungen für Schnellstraßen beschleunigt werden.
Mediziner, Umweltschützer und Bürgerinitiativen sehen dieses Vorhaben sehr kritisch - nicht nur, weil die Verordnung während der Urlaubszeit, ohne öffentliche Begutachtung und im Verlauf der sogenannten "kundmachungsfreien Zeit" während der Parlamentsferien abgewickelt wird. Anders als beim parlamentarischen Begutachtungsprozess im Nationalrat sind für interessierte Bürgerinnen und Bürger im vorliegenden Fall weder kritische noch zustimmende Stellungnahmen über die Homepage des Ministeriums frei zugänglich.
Keine strengeren Lärmschutzgrenzen
Einblick in den Zweck des Vorhabens gibt freilich das Vorblatt: "Erlangung einer verbesserten Planungs- und Rechtssicherheit bei Bundesstraßenvorhaben durch Regelungen auf dem Gebiet des Lärmschutzes". Anders als der Name der Verordnung verspricht, dürfte Gesundheitsschutz jedoch nicht oberste Priorität der Verordnung sein. Jedenfalls enthält sie keine über das derzeitige Maß hinausgehende Lärmschutzmaßnahme oder gar strengere Richtwerte. Allerdings werden drei starre Grenzwerte festgeschrieben: "zulässige Zusatzbelastungen aus dem Straßenverkehr", "zulässige Gesamtbelastungen, um unzumutbare Belästigungen auszuschließen" sowie "zulässige Gesamtbelastungen zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdung".
Vereinfacht ausgedrückt sieht dies vor, dass in Gebieten mit hoher Gesamtlärmbelästigung zusätzlicher Schall von einem Dezibel (dB) durch die neue Autobahn über 65 dB am Tag und 55 dB nachts hinaus zumutbar ist.
Mit diesem Regime haben Mediziner inhaltlich ihre Not, zumal nicht ganz klar ist, ob die Grenzwerte von 60/65 dB und 50/55 dB alternativ oder additiv gelten. Überdies ist der Nachtwert von 45 dB deutlich höher als von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen (40 dB). In ihren "Night Noise Guidelines for Europe 2009" hält die WHO sogar fest, dass Lärm nicht erst bei 43 dB "erste Zeichen der Beeinflussung" zeitigt, sondern bereits zwischen 30 und 40 dB Schlafstörungen, Aufwachen etc. hervorruft - nicht nur bei "verwundbaren Gruppen" wie Kindern oder Kranken. 43 dB bezeichnet laut WHO jene Schwelle, ab der Gesundheitsrisiken bereits nachgewiesen sind, heißt es in der Stellungnahme der "Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt" (ÄGU).
"Wenig durchdacht"
Lärmbelastung unter diesen Grenzwerten soll laut Verordnungsentwurf nicht mehr von Sachverständigen untersucht werden müssen. "Wenig durchdacht" sei das, Lärmschutz für Anrainer sei nicht mehr sichergestellt, lautet die Warnung der ÄGU. Darüber hinaus würden Werte für Tag und Nacht in der bisherigen Rechtsprechung durch "gewichtete Grenzwerte über 24 Stunden" ersetzt. Das könnte dazu führen, dass zwar der Mittelwert über 24 Stunden eingehalten wird, die Lärmbelastung zeitweise aber höher liegt als bisher zulässig.
Die Umweltorganisation Virus kritisiert ganz grundsätzlich "die Anmaßung, dass das Verkehrsministerium meint, mit einer Korrektur der Rechtsprechung der Höchstgerichte Rechtssicherheit in einer ihr genehmen Form herstellen zu können". Die Höchstgerichte hätten derartigen Verordnungen längst Grenzen gesetzt, sagt Wolfgang Rehm von Virus. Unberücksichtigt bleibt beispielsweise das Semmeringtunnel-Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom Dezember. Der VwGH hatte gerügt, dass die Lärmbelastung auf einem betroffenen Grundstück berechnet, aber nicht gemessen wurde.
Das Verkehrsministerium verteidigt die Grenzwerte, verweist aber auf die Begutachtung, die noch nicht abgeschlossen sei. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, 5.8.2014)