Auf der Hohen Warte im 19. Wiener Gemeindebezirk steht inmitten pompöser Villen das Julius-Hann-Haus. Stählerne Aufbauten auf dem Dach und kryptische Messinstrumente auf dem Rasen lassen schon von außen vermuten, dass in dem historistischen Bau Bedeutungsschweres vor sich geht.

Vermutlich kennen nur die wenigsten das Stammhaus der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Dennoch kommt fast jeder auf die eine oder andere Art und Weise damit in Berührung: Die hier erstellten Wetterprognosen haben profunde Auswirkungen auf alltägliche Entscheidungen der Bürger.

Ein Rundgang zu pensionierten Messgeräten und einer Glaskugel, die Wien einfach umdreht

1870 – gerade mit dem Bau der Wiener Votivkirche beschäftigt – begann Johann Heinrich Freiherr von Ferstel mit den architektonischen Planungen des Hann-Hauses, zwei Jahre später war das Gebäude bezugsfertig. In der Folge übersiedelte die Forschungsanstalt aus der Wiedner Hauptstraße auf die Hohe Warte. Gegründet worden war die Zentrale schon etwa zwanzig Jahre zuvor, im Jahr 1851.

Foto: Regine Hendrich

Über dem Portal im Erdgeschoß ist noch immer die historische Bezeichnung "K. k. Central Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus" in großen Lettern zu lesen. Im heutigen Foyer trifft man auf das Antlitz der Persönlichkeit, nach der das Haus benannt wurde: Julius Hann. Er war der dritte Direktor der noch immer hier ansässigen Institution.

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Seit 1904 ist auch Österreichs Erdbebendienst am Standort im 19. Bezirk angesiedelt. Auf einem Betonsockel im Keller steht ein Meilenstein der Naturwissenschaft. Der federgedämpfte, aber eine Tonne schwere Erschütterungsanzeiger ist ein spezielles Modell: ein Wiechert-Seismograf – benannt nach seinem Erfinder Emil Wiechert.

In einem Seismogramm werden die gemessenen Bodenbewegungen grafisch dargestellt. Ausgehend von den Wellen können Experten bestimmen, um welche Art von Beben es sich handelt und wie weit entfernt das Epizentrum liegt. Im Jahr 1906 konnte der Wiechert-Seismograf das berühmte Erdbeben von San Francisco messen, zwei Jahre später das Messina-Erdbeben.

Daneben gibt es seit 1908 auch ein Conrad-Pendel im Hann-Haus. Auch dessen Erfinder, Victor Conrad, war einer der führenden Köpfe der Zentralanstalt. Er emigrierte 1938 nach Amerika. Das Pendel ist deutlich kleiner und leichter als der "Große Wiechert" und dabei auch präziser in der Messung. Christa Hammerl von der ZAMG sammelt seit Jahren Material über die Forscherpersönlichkeit. "Was ich inzwischen über Victor Conrad weiß, weiß kein anderer", sagt sie.

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Hammerl ist Historikerin und Geologin und verbindet ihre beiden Leidenschaften vor allem im Bereich der Erdbebenforschung. Ihre Schwerpunkte sind Erdbeben vor der Erfindung der Messgeräte. Sie versucht, anhand historischer Quellen Aussagen über die Stärke und andere Werte zu treffen. "Es gibt heute nicht mehr Erdbeben als früher, sie werden durch die moderne Technik nur schneller und feiner registriert", erklärt sie.

Im November 1944 traf eine Bombe der Alliierten das Hann-Haus – möglicherweise war die nahe gelegene Villa des Reichsstatthalters Baldur von Schirach das eigentliche Ziel des Angriffs. Dabei wurde auch der Wiechert-Seismograf zerstört. "Überall zwischen den Trümmern lagen die filigranen Teile und Schrauben", erzählt Hammerl. Ein damaliger Mitarbeiter habe sich dann Mehlsiebe von einer Bäckerei organisiert und so die Kleinteile aus dem Schutt gesiebt. Einige Jahre später konnte das Gerät wieder in Betrieb genommen werden.

Beim jüngsten der stärksten österreichischen Erdbeben im Jahr 1972 im niederösterreichischen Seebenstein schlug es dem Wiechert-Seismografen die Arme aus. Das Conrad-Pendel hingegen konnte trotz der Erschütterung Messungen durchführen. 1977 ging der gewaltige Seismograf nach jahrzehntelangen, treuen Diensten endgültig in den Ruhestand. Christa Hammerl besucht ihn oft.

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Über eine enge Wendeltreppe, die sich im Turm hinaufschlängelt, gelangt man auf den Dachboden des Julius-Hann-Hauses. Obwohl die Außenthermometer, von denen es auf dem Gelände der Zentralanstalt einige gibt, Sommertemperaturen anzeigen, ist es oben nicht so heiß wie erwartet. Der Dachboden ist ein offener, eigentlich unspektakulärer Raum mit starken Dachschrägen. Bemerkenswert ist ein Rundbogen in der Mitte: In seinem Zentrum treffen schwere Balken aus verschiedenen Richtungen aufeinander.

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2001 wurde das Hann-Haus für die 150-Jahr-Feier renoviert, der Dachboden dafür entrümpelt. Christa Hammerl erinnert sich mit Wehmut daran. "In den Winkeln auf dem Dachboden gab es tolle Schätze, alte Messinstrumente zum Beispiel – aber nicht jeder findet solche Dinge so fesselnd wie ich. 'Alter Ramsch', dachte wohl einer und warf sie weg", erzählt die Historikerin. Heute ist der Dachboden leer.

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Schon 1870 war der Beobachtungsturm in Ferstels Plänen verankert. Auf der Terrasse sollten aerologische Messungen durchgeführt werden. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden wissenschaftliche Ballonfahrten modern. Erst um 1900 begann man auch in Wien mit der Erforschung der Atmosphäre.

Für die Anfänge der Luftstrommessungen erwies sich die Höhe des Turms des Hann-Hauses als günstig. Dazu habe man bei den ersten Experimenten Drachen steigen lassen, berichtet Hammerl. So konnten die Windrichtungen festgestellt werden. Sonden an den Drachen machten es später möglich, Werte wie Temperatur, Luftdruck oder Luftfeuchtigkeit bei steigenden Höhen zu determinieren.

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Um die Jahrhundertwende wurden bereits Ballons aus sehr leichtem Gummimaterial verwendet. Solche Ballonaufstiege in die hohe Atmosphäre brachten die Erkenntnis, dass die "Luft" aus verschiedenen Schichten besteht – ein Wendepunkt in der Forschung.

Auf der Plattform, am Rand des Geländers, ist ein Sonnenscheinautograf montiert. Die Glaskugel wird bei Sonneneinfall zu einem Brennglas, das ein Muster in einen Papierstreifen mit Zeitskala sengt. Dieser wurde früher täglich ausgetauscht. Aus den so entstandenen Linien kann die Sonnenscheindauer abgelesen werden.

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Beim Blick durch die Glaskugel wird die Welt verkehrt herum gespiegelt: Die Häuserspitzen der Stadt und ihr Grün baumeln spiegelbildlich über dem Wiener Himmelsbecken. (Anja Melzer, derStandard.at, 23.8.2014)

Literaturhinweis: Hammerl, Christa, Lenhardt, Wolfgang, Steinacker, Reinhold und Peter Steinhauser (Hg.): Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik 1851–2001. 150 Jahre Meteorologie und Geophysik in Österreich (Graz 2001).

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