Istanbul - Kurz vor der Präsidentenwahl in der Türkei am Sonntag sind die Sicherheitsbehörden erneut gegen mutmaßliche Regierungsgegner im Polizeiapparat vorgegangen. Bei zeitgleichen Razzien in mehreren Landesteilen wurden am Dienstag 33 Beamte festgenommen, wie türkische Medien berichteten. Den Verdächtigen wird die Verwicklung in illegale Abhöraktionen gegen die Regierung vorgeworfen.

Die Festnahmewelle begann am Morgen in Istanbul, im Tagesverlauf gab es weitere Festnahmen. Insgesamt gab es Razzien in 14 Provinzen. Betroffen war insbesondere der mehrheitlich kurdische Südosten des Landes, wie der türkische Fernsehsender NTV berichtete. Im Fernsehen war zu sehen, wie Polizisten von Beamten in Zivil aus ihren Wohnungen abgeführt wurden.

Spionageanklagen

Bei einer ersten Festnahmewelle waren im vergangenen Monat mehr als hundert Polizisten in Gewahrsam genommen worden, rund ein Drittel von ihnen kam in Untersuchungshaft. Insgesamt 31 Beamte wurden in der vergangenen Woche in verschiedenen Punkten angeklagt, darunter wegen Spionage.

Den Polizisten wird vorgeworfen, Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu sein, der im Exil in den USA lebt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich bei der Wahl am kommenden Sonntag um das Präsidentenamt bewirbt, wirft den Beamten vor, staatliche Institutionen unterwandert zu haben. Seit der Aufdeckung von Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung im Dezember, die laut Erdogan ebenfalls Teil einer Verschwörung Gülens sind, gehen die Behörden gegen mutmaßliche Anhänger des Predigers in Polizei und Justiz vor.

Komplott

Erdogan wirft dem einflussreichen Prediger und einstigen Weggefährten ein Komplott zum Sturz seiner Regierung vor. Die Gülen-Bewegung soll besonders in Polizei und Justiz zahlreiche Anhänger haben. Gülen bestreitet, hinter den Korruptionsvorwürfen zu stehen und einen "Parallelstaat" in der Türkei aufgebaut zu haben. In einer am Dienstag im Internet verbreiteten Videobotschaft wies Gülen erneut jegliche Verschwörung gegen die türkische Regierung zurück.

Die meisten der Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan und seine Regierung wurden durch das Abhören von Telefongesprächen bekannt. Die Informationen wurden anschließend über soziale Netzwerke veröffentlicht. Erdogan, der die Vorwürfe vehement bestreitet, entließ in diesem Zusammenhang bereits tausende Polizisten und Staatsanwälte. Die am Dienstag festgenommenen Beamten sollen türkischen Medienberichten zufolge im Rang unter den im Juli festgesetzten Polizisten gestanden haben.

Der Chef der oppositionellen Partei CHP, Kemal Kilicdaroglu, bezeichnete den Zeitpunkt der jüngsten Festnahmen als politisch motiviert und erklärte, es sei Erdogan selbst, der zur Verantwortung gezogen werden sollte. "Aus irgendeinem Grund werden solche Aktionen vor der Wahl vorgenommen", sagte Kilicdaroglu gegenüber Journalisten. Erdogan glaube, die Menschen würden die Korruptionsvorwürfe angesichts der Wahlen vergessen. "Aber man kann nicht entkommen", sagte der Politiker.

Die Festnahmewelle vom Dienstag war am Vorabend von einem Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitter angekündigt worden. Der Informant hatte unter dem Namen "Fuat Avni" bereits mehrmals Interna aus den Sicherheitsbehörden veröffentlicht. Nach seinem Hinweis auf die Festnahmen vom Dienstag wurde das Twitter-Konto laut Medienberichten gesperrt. "Fuat Avni" veröffentlichte seine Mitteilungen anschließend von einem neuen Konto aus.

Die Erdogan-Regierung hatte im Frühjahr Twitter und die Videoplattform YouTube wegen der Veröffentlichung von Korruptionsvorwürfen sperren lassen. Die Sperren wurden aber vom türkischen Verfassungsgericht aufgehoben. (APA, 5.8.2014)