Alle paar Jahre taucht er wieder auf, wie das Ungeheuer von Loch Ness: der Männerrock, mehr Versprechen als Realität, mehr künstliches Hochglanzprodukt als massentaugliche Alltagskleidung. Für ein paar anekdotische Schlagzeilen in den Magazinen reicht es allemal, wenn Designer Marc Jacobs als großer Männerrockverfechter behaartes Bein zeigt und betont, wie angenehm dieses Kleidungsstück doch zu tragen sei.
Ein Anklang von Genderbenachteiligung, die endlich überwunden gehört, schwingt dann mit: Längst haben die Frauen Herrenhemden, Anzüge und Boyfriend-Jeans für sich erobert, jetzt sind die Männer dran, einen Schritt in Richtung Unisex-Emanzipation zu tun und die luftigen Röcke für sich zu vereinnahmen. Gleiches modisches Recht für alle! Allein, die Zeit scheint noch nicht reif dafür zu sein.
Dabei hat der französische Modeparadiesvogel Jean Paul Gaultier bereits 1984 seine männlichen Models im Rock über den Laufsteg geschickt. Er war, glaubt man der europäischen Modegeschichte, damit der Erste im westlichen Raum. Ein bisschen wie Nacktbaden fühle es sich an, als Mann einen Rock zu tragen, meinte der Modepionier damals. Viel später, im Frühjahr 2010, nahm die schwedische Kette H&M sogar Männerröcke in ihr Sortiment auf - allerdings mit mäßigem Verkaufserfolg.
Gefangen im 19. Jahrhundert
Natürlich beweist die nach wie vor etwas verklemmte Diskussion darüber, ob Männer nun Röcke und Kleider tragen sollten, letztendlich nur, wie sehr unser Denken noch immer im 19. Jahrhundert gefangen ist, als sich die Männermode vor allem über Sachlichkeit definierte.
Ein Blick in die Modegeschichte zeigt jedoch: Über lange Phasen galten Männer als das schillernde, geschmückte Geschlecht. Bis ins 16. Jahrhundert waren Männerröcke in Europa nicht unüblich, die Kleidung der Herren war prächtiger und sexuell provokanter als die der Damen, die ihre weiblichen Reize verdecken sollten.
Nach der Französischen Revolution änderte sich dies schlagartig: Das aufstrebende Bürgertum setzt sich mittels Kleidung vom verschwendungssüchtigen Prunk des Adels ab. Der Männerkörper ging Richtung Funktionalität, während der Frauenkörper zunehmend erotisch inszeniert wurde.
Eine Tendenz, an der sich die Mode bis heute abarbeitet - die deutsche Fashion-Theoretikerin Barbara Vinken etwa hat in ihrem Buch "Angezogen" ausführlich darüber reflektiert, wie sehr die Macht der bürgerlichen Disziplinierung bis heute in den Anzug als Uniform des Mannes nachwirkt. Aufgrund des Anzugs hatten es Männer nicht mehr nötig, sich über Körper und Kleidung zu definieren.
Dabei hat sich in den letzten Jahren einiges verschoben: Die Männermode ist in einer massiven Aufbruchsstimmung, sowohl Designer als auch Kunden zeigen sich gelangweilt von der ewig gleichen banalen Funktionalität der Herrenkleidung. Junge Männer sind mutiger, femininere Schnitte dominieren, und knalligere Muster treten an, die alte Geschlechterordnung umzuwerfen und die Herren wieder als das schillernde Geschlecht zu rehabilitieren.
"Girlfriend-Look"
Durch die Medien geistert der neue Trend unter dem Stichwort "Girlfriend-Look". Er beschreibt Männer, die aussehen, als ob sie gerade den Kleiderschrank ihrer Freundinnen geplündert hätten.
"Der Einzug der Rüsche und des Rocks in das Inselreich der Herrenmode ist zweifelsohne gerade das neue Ding", bestätigt Markus Hausleitner vom heimischen Label House of the very island's, das auf die Dekonstruktion von Geschlechterrollen großen Wert legt. "Wir finden Männerkleidung nach wie vor viel reglementierter als Frauenmode. Gerade deshalb ist es oft auch spannender, einen Bruch zu platzieren, Details zu verschieben, die einem Kleidungsstück einen ganz anderen Approach geben. Unser Lieblingsstil ist ohnehin eine Art ,Butchfriend-Look'."
Für Hausleitner ist die aktuelle "Emanzipation der Herrenmode" allerdings auch von einer "extrem eurozentristischen Sichtweise" geprägt. In vielen Kulturen sind Männerröcke und Kleider längst unisex und gar kein Thema mehr: Der Sarong ist in Asien beliebt, die Tunika in Indien und im arabischen Raum. Und in Japan trägt man traditionellerweise den hosenrockartigen Hakama. Nur in Europa hängt man, abgesehen vom Schottenrock, noch immer ungeschriebenen Gesetzen nach, denen zufolge die Männermode auf klassische Hosen zu setzen hat.
Genderfrage war gestern
Ist das jetzt eigentlich ein Rock? Vielleicht stellt sich in Zukunft diese Frage gar nicht mehr, weil es viele Hybridformen gibt. Das britische Style-Magazin "Dazed & Confused" meinte jüngst provokant: "Is fashion over gender"? Lässt die aktuelle Mode die Genderfrage gerade hinter sich? Junge Designer scheinen der Debatte zumindest gerade ein wenig müde zu werden, es geht ihnen nicht mehr darum, boyish oder androgyn zu entwerfen, sondern möglichst frei zu denken, jenseits der Geschlechtsnormen.
Eines der gefragtesten Aushängeschilder dieser Tendenz ist der irische Designer Jonathan Anderson mit seinem Erfolgslabel J. W. Anderson. Er kennt keine Furcht vor völlig neuartigen Silhouetten, mixt lässig unterschiedlichste Elemente. "Mir geht es um die Idee einer Garderobe, die sowohl von Männern als auch von Frauen geteilt werden kann", betont Anderson in Interviews. "Ich denke, ein Kleidungsstück an sich hat kein Geschlecht. Es geht darum, was dieses Kleidungsstück einer Person bedeutet."
Die heimische Song-Contest-Gewinnerin Conchita Wurst würde das sicher unterschreiben, schließlich lässt sie klischeehafte Geschlechterzuschreibungen, wie wir sie bisher kannten, hinter sich und definiert Schönheit und Stil als persönliche Sache, an die man durchaus spielerisch herangehen kann.
Trendmärkte
J. W. Anderson ist Vorreiter einer Modesprache, die deutlich internationaler wird. Die trendgebenden Männermärkte liegen in Asien, allein in Japan und Korea werden 60 Prozent der Umsätze mit Männermode gemacht. Die Konsumenten sind aufgeschlossener, es kommt ihnen weniger auf Konventionen und Geschlechtertrennung an.
Gut möglich, dass dieser Trend mit Verspätung nun auch in Europa ankommt. Sogar in der nach wie vor reichlich homophoben Hip-Hop-Mode hat sich die Tunika, die oft wie ein Kleid aussieht, längst durchgesetzt. Und Rick Owens fließend-feminine Stoffe und Schnitte sind extrem angesagt. Sämtliche High-Fashion-Marken sind gerade ohnehin verzweifelt auf der Suche nach Frischblut, das sie in Pop- und Streetkultur zu finden glauben.
Das beste Beispiel dafür ist Givenchy-Chefdesigner Riccardo Tisci, der regelmäßig Männer in Röcken und Kleidern in seine Shows schickt, ohne deshalb zwangsläufig auf Feminität setzen zu wollen. Die Silhouetten in der Männermode haben sich verändert, sind fließender, weicher geworden.
Am raffiniertesten geht mit diesem Thema der belgische Modevordenker Raf Simons um. In seiner Frühjahrskollektion 2013 etwa zeigte er Männer in klassischen Sakkos, dazu trugen sie kurze Hosen, die seitlich geschlitzt wie Röcke wirkten. Bereits in seiner Herbst-Winter-Kollektion 2010 ließ er Männer Röcke tragen, die allerdings wie klassische Herrenmäntel aussahen.
Freiheit des Schneiderns
Bei Simons' Entwürfen sieht man, es geht um die Freiheit des Schneiderns, in einem Feld zu arbeiten, das jenseits von weiblich und männlich funktioniert oder zumindest beide Welten verwirrend zusammendenkt.
Und in den theatralischen Inszenierungen des Amerikaners Thom Browne ist es zentral, in eine fremde, bizarre Welt zu entführen, die Geschlechtergrenzen so lose zieht wie futuristische Fantasy-Utopien. Bei Browne ist Mode ein Versprechen jenseits des Alltags: Jeder, ob Frau, ob Mann, hat ein Recht auf Drama. Freilich haben die Männer diesbezüglich in den letzten Jahren Blut geleckt: Warum immer in einer faden Uniform herumlaufen, wenn es auch anders geht?
Die Frauen können diesbezüglich fast neidisch werden: Im Vergleich zur Aufbruchsstimmung in der Männermode herrscht bei ihnen gerade eher tote Hose in Sachen Innovation. (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 8.8.2014)