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Ein Melkroboter widerspricht nicht den Bio-Richtlinien, und die Kuh fühlt sich möglicherweise sogar wohler, sagt Agrarwissenschafter Urs Niggli.

Foto: apa

STANDARD: Bio in Österreich boomt. Wie kann man auch in Zukunft leistbare Produkte anbieten?

Niggli: Indem man moderne Möglichkeiten ausnutzt. Produziert man im kleinen Stil, werden die Produkte teurer. Wir können aber für ein Bioei nicht den doppelten Preis verlangen, das bezahlen die Konsumenten nicht. Also sollten wir im Rahmen der Bio-Richtlinien industrialisieren. Es muss ja nicht jedes Produkt nach Großmutter riechen oder schmecken.

Der Konsument stellt sich beim Kauf von Biobrot aber einen Bauern vor, der auf einem kleinen Acker in hoher Lage mit einer Sichel erntet. Und seine Frau, die das Getreide vermahlt und Brot bäckt. Diese Bilder stimmen natürlich in keiner Weise. Was heute bei Rewe und Hofer in den Regalen steht, ist ökologisch, aber sehr modern produziert.

STANDARD: Welche Gefahren birgt diese Industrialisierung für Bio?

Niggli: Ich sehe da keine Gefahren. Eine Biokuh kann man auch mit einem Roboter melken. Das widerspricht auch nicht den Richtlinien und die Kuh fühlt sich möglicherweise sogar wohler.

STANDARD: Wie viel High-Tech ist in Österreich schon in Verwendung?

Niggli: Im Gemüsebau kommen schon satellitengesteuerte Unkraut-Hackgeräte zum Einsatz. Die können einen Salatkopf von Unkraut unterscheiden. Der konventionelle Bauer spritzt Herbizide. Im Biolandbau ist das nicht erlaubt. Aber 3 Hektar Salat kann ich nicht von Hand jäten. Und es wird solarbetriebene Kleinroboter geben, die selbstständig Arbeiten erledigen.

Es gibt ja auch völlig computerisierte Landwirtschaften, wo alle Geräte über Satelliten verbunden und sämtliche Daten über die Geräte, den Boden und das Gelände auf Datenbanken abgelegt sind.

STANDARD: Entspricht der Bauer dann nicht eher einem Programmierer?

Niggli: Ja schon. Aber: Ist Bauer im traditionellen Sinne ein Traumberuf? Warum verlassen so viele Bauernsöhne die Höfe und machen lieber eine Ausbildung zum Programmierer? Der soll doch seine Fähigkeiten auf seinem Betrieb nutzen. Ich bin dezidiert gegen eine Idealisierung eines altmodischen Berufsbildes.

STANDARD: Glauben Sie, dass Biowerbung mit kleinen Schweinchen und Almbauern für die moderne Entwicklung kontraproduktiv ist?

Niggli: Wir werden in allen Lebenslagen von den Marketingleuten getäuscht. Wenn in einem Autosalon ein Auto ausgestellt wird, dann räkelt sich immer eine Dame darauf. Da nehme ich ja auch nicht an, dass ich mit dem Autokauf auch die Dame kriege.

Der Verbraucher weiß, dass ihm im Biobereich Bilder vorgegaukelt werden, die so in der Praxis nicht stimmen. Ich würde mir wünschen, dass in der Werbung traditionelle Elemente für das Bauchgefühl und moderne für den Intellekt kommuniziert werden. Bei einer iPhone-Werbung stehe ich auch auf Fakten, auf technische Informationen. Und wenn eine Bäuerin ein Schwein auf dem Arm hält, dann steht das für Verantwortung. Solche Elemente braucht man auch.

STANDARD: Was sagen Sie zum Entwurf der neuen EU-Bioverordnung? Biobauern haben Angst, dass die neuen Grenzwerte nicht praktikabel sind.

Niggli: Ich bin gegen Frontalopposition, vor allem, weil die neuen Grenzwerte noch nicht festgelegt sind. Sicher, wenn diese auf dem Niveau von Babynahrung festgelegt werden, wird es tatsächlich schwierig.

STANDARD: Welche Schwachpunkte hat der Entwurf?

Niggli: Die EU möchte ihre Vorstellung von Bio globalisieren. Biolandbau hat aber weltweit eine sehr hohe Vielfalt. Er hat sich in Europa historisch ganz anders entwickelt als in Japan oder den USA. Die EU geht sehr radikal vor und sagt: Bio ist nur noch, was den EU-Richtlinien exakt entspricht. Oft ist es aber unmöglich, in Entwicklungsländern zertifiziertes, biologisches Saatgut zu bekommen. Da entsteht ein ungeheurer Druck auf die Produzenten. Ich habe schon immer gesagt, dass man Biolandbau regionalisieren muss, dass man sich fragen muss: Wie definiert man Biolandbau in den Tropen?

Momentan neigt man dazu, die Bioidee immer genauer durchzubuchstabieren. Aus ethischen und ideologischen Gründen, nicht, weil es nachhaltiger ist. Es wird zum Beispiel überlegt, Zuchtmethoden, die seit 30 Jahren praktiziert werden, als Gentechnik zu bezeichnen und somit von Bio auszuschließen. Für Brokkoli oder Karfiol müsste man dann ein völlig neues Zuchtprogramm entwickeln. Das würde Bioprodukte teurer machen. Auch taucht immer wieder die Frage auf, ob man essentielle Zusätze wie Vitamine oder Aminosäuren, welche mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt wurden, den Futtermitteln beimischen darf. Das ist für mich ein Grenzfall. Es gibt ja auch keine Vorschrift, die einem Biobauern mit Diabetes das Insulinspritzen verbietet. Insulin wird ja auch mit gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt.

STANDARD: Würde Gentechnik den Biolandbau produktiver machen?

Niggli: Nein, die heutige Gentechnik bringt überhaupt nichts. Sie hat Irrwege eingeschlagen. Es gibt praktisch keine gentechnisch veränderten Pflanzen, die im Biolandbau Sinn machen. Sie machen auch den konventionellen Landbau nur einfacher, aber nicht ertragreicher. Doch die Wissenschaft hat gelernt. In Zukunft werden ganz andere, brauchbare Produkte kommen.

STANDARD: Wie soll man in Österreich dann die steigende Nachfrage nach Bioprodukten befriedigen?

Niggli: Obwohl 20 Prozent der Anbaufläche in Österreich Bio sind, kann die Nachfrage nicht durch einheimische Produkte gestillt werden. In Deutschland, Dänemark und der Schweiz wird sogar noch mehr importiert als hierzulande. Und ich bin überzeugt davon, dass der Bedarf weiter steigen wird. Unabhängig zu werden ist aber auch gar nicht das Ziel. Wir wollen ja eine vielfältige Ernährung, also auch tropische Früchte in Bioqualität.

STANDARD: Aber sind Bio-Kiwis aus Neuseeland wirklich noch Bio?

Niggli: Ja, auf jeden Fall. Man muss sich aber die Transportbilanz ansehen. Kiwis könnte man energieeffizienter in Österreich anbauen, Orangen nicht. Auch Frischgemüse für den Winter ist ökologischer, wenn man es aus Marokko importiert, anstatt Gewächshäuser in Österreich zu beheizen. (Sonja Spitzer, DER STANDARD)