Erregte in Graz die Gemüter: Das Plakat des Steirischen Herbstes 1971, in dem Karl Neubacher Kommunikation visualisiert.



Foto: Katalog

Graz - In den ersten Jahren war der Steirische Herbst noch kein dezidiertes Avantgardefestival gewesen. Dementsprechend langweilig sahen zwischen 1968 und 1970 die Plakate aus. Doch dann wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der in Graz tätige Werbegrafiker Karl Neubacher, 1926 in Hattenberg geboren, für sich entschied. Auf dem Plakat ist viermal das Gesicht Neubachers zu sehen, jedes durch Retuschen auf ein Sinnesorgan reduziert.

Es handelt sich um ein Gegenmodell zum Sinnbild der drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Bunte Pfeile führen zu den Sinnesorganen - und wieder von diesen weg (außer bei den Ohren). Die vier Eierschädel lösten in der Bevölkerung enorme Aggressionen aus: Man beschmierte die Plakate oder riss sie von den Werbetafeln. Der Steirische Herbst war schlagartig bekannt - und ziemlich suspekt.

Ein Jahr später geriet das Festivalplakat vollends zum Skandal. Unter dem Slogan "Auf, zum steirischen herbst!" sah man einen eher korpulenten Mann von hinten, wie er seine etwas lose hängende Hose zurechtrückt. Manche interpretierten das Foto anders - und affichierten über das Plakat: "Hat er schon oder muß er erst auf den Steirischen Herbst sch... ?"

Karl Neubacher hatte dieses Plakat zwar nicht gestaltet, er war aber am Prozess beteiligt gewesen. Denn die sozialpolitisch aktive Kunstproduzentengruppe Pool, der er angehörte, wollte die Kreativität der Arbeiter erhöhen. Und so entstanden in Zusammenarbeit mit Betrieben mehrere Vorschläge für das Herbst-Plakat; ausgewählt wurde schließlich das Sujet des Fotoklubs der Puch-Werke.

Gegründet worden war Pool 1969 von Richard Kriesche, Horst Gerhard Haberl und eben Neubacher. Nach Vorbild der Artist Placement Group in London wollten die drei unter anderem Kunst aus dem Ghetto, den Museen und Galerien, in die Gesellschaft bringen. Zudem verstand man Pool als Link zwischen Ware und Kunst.

Ab 1970 brachte Pool die großformatige Zeitschrift Pfirsich heraus, die mit einer riesigen, orangefarbenen Frucht am Cover ein Hingucker sondergleichen war und sich Themen wie Aktionismus, Körperkunst, Design und Werbegrafik widmete. Eine Besonderheit war der schwarze Kriegspfirsich, in dem Neubacher alle Kriege des 20. Jahrhunderts (bis 1971) auflistete.

Die Zielsetzung von Pool konnte Haberl schon bald umsetzen: Der Mitarbeiter der Neuen Galerie wurde zum Werbechef von Humanic bestellt. Und dort fuhr er eine extrem erfolgreiche, verstörende Linie. Die Künstler, die er verpflichtete, brauchten mit keinem Satz oder Bild auf das Produkt Bezug nehmen. In den Werbespots von Roland Goeschl und Richard Kriesche ging es etwa um Umweltzerstörung und Kunstideologie.

Ohne Berührungsängste

In diesem Umfeld wurde aus Neubacher, der noch in den 1960er-Jahren konventionelle Werbegrafik gemacht und sich danach an die Ästhetik von Göschl angenähert hatte, eine öffentliche Kunstfigur. Denn er verwendete ab nun in der Regel sich selbst als Modell. Und er hatte immer ungewöhnliche, radikale Konzepte.

Ohne Berührungsängste arbeitete Neubacher auch für die Volkspartei, die Kirche und die Styria, das damals noch ziemlich katholische Pressehaus. In deren neuer Druckerei gab es 1975 sogar eine Ausstellung mit all den Plakaten.

Neubacher, ein recht stark behaarter Mann mit Halbglatze, Oberlippenbart und runder Brille, wurde zum Selbstdarsteller heutigen Zuschnitts. Und er visualisierte Themen, die nach wie vor diskutiert werden - etwa Genderfragen, wenn er seine Hand mit aufgeklebten roten Fingernägeln zu Mund und Bart führt.

Neubacher machte Werbung, die als Kunst funktionierte und umgekehrt. Nebenbei entstanden einige Arbeiten ohne Auftraggeber, zumeist vielteilige, dramaturgisch aufgebaute Fotoserien oder kurze Videos. Selbstdarstellung in Halbkleidung (1973) zeigt den Künstler halbnackt - und ganz natürlich mit Stützprothese. In Zimmerlinde (1975) domestiziert Neubacher eine Pflanze, indem er die Blätter rechteckig schneidet.

1978 starb er völlig unerwartet, ein Jahr darauf war in Graz die Retrospektive Öffentliche Kunstfigur zu sehen. Dann geriet Neubacher, dem der internationale Durchbruch verwehrt blieb, in Vergessenheit. Nur das Werbeatelier wurde weitergeführt. Nun, 36 Jahre später, erinnert sich die Neue Galerie seiner: Im Kunsthaus präsentiert Günther Holler-Schuster so ziemlich alles, was verfügbar ist. Empfehlenswert. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 6.8.2014)