Washington/Wien - Es ist ein Alptraumszenario für die US-Geheimdienste und Präsident Barack Obama: Etwas mehr als ein Jahr nach den ersten Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden taucht eine neue "Geheimdienstquelle" in den Medien auf. Die unbekannte Quelle hat offenbar Zutritt zu Dokumenten mit jener Geheimhaltungsstufe, die auch die meisten Snowden-Dokumente aufweisen. Ob der neue Whistleblower wie Snowden aus dem Militärgeheimdienst NSA stammt, ist momentan noch unklar.

Bereits vor einigen Wochen war über einen "zweiten Snowden" spekuliert worden: Damals hatten deutsche Medien berichtet, dass die NSA gezielt Nutzer des Internet-Anonymisierungsdiensts Tor ins Visier nimmt. Die Journalisten hatten bei ihren Recherchen Zugriff auf den Programmcode einer NSA-internen Überwachungssoftware, was atypisch für bisherige Snowden-Leaks war.

Dokumente über Terrordatenbanken

Daraufhin deutete der IT-Experte Bruce Schneier, der die Snowden-Dokumente durchsehen konnte, an, es könnte einen weiteren Whistleblower geben. Anfang Juli heizte der Snowden-Vertraute und investigative Journalist Glenn Greenwald die Gerücht weiter an, indem er twitterte, dass die Existenz eines weiteren NSA-Whistleblowers mittlerweile wohl "klar sei".

Durch die Veröffentlichung eines Geheimdokuments, das auf August 2013 datiert, hat Greenwalds Onlinemagazin The Intercept die Vermutungen jetzt definitiv bestätigt. Denn zu dieser Zeit befand sich Edward Snowden bereits in Russland und hatte schon länger keinen Zugriff mehr auf NSA-Dokumente. Daher muss das aktuelle Dokument von einer neuen, bisher unbekannten Quelle stammen.

In jenem Bericht geht es um eine Datenbank, in der "bekannte oder mutmaßliche Terroristen" aufgeführt werden. Allerdings gibt es Einträge zu mindestens 680.000 Personen, rund ein Drittel davon stünde in keiner Verbindung zu einschlägigen Organisationen wie Al-Kaida, Hisbollah oder den Taliban. In einer weiteren Datenbank mit "potenziellen Extremisten" sollen sogar mehr als eine Million Namen verzeichnet sein. Auch die No-Fly-Liste, durch die Betroffene vom Flugverkehr in den USA ausgeschlossen werden, wurde signifikant erweitert.

Vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 befanden sich auf ihr 16 Namen, heute sind es 47.000. Unter Barack Obama habe sich der Anteil verzehnfacht.

US-Regierung erzürnt

Die US-Regierung soll mehrfach versucht haben, die Publikation des Artikels zu verhindern. Als die Interventionsversuche keine Wirkung zeigten, habe die US-Regierung dann Teile der Geschichte an anderes Medien und Nachrichtenagenturen weitergegeben, um The Intercept zu ärgern, so der Journalist Jeremy Scahill auf Twitter.

Das Weiße Haus wollte ebenso wie die Koordinationsstelle der US-Geheimdienste keinen Kommentar zur Causa abgeben. Laut dem US-Nachrichtensender CNN habe allerdings bereits eine fieberhafte Jagd nach dem neuen Whistleblower eingesetzt. Für die US-Regierung stellt das Auftauchen der neuen Quelle ein Fiasko dar.

Verdächtig sind all jene 1,7 Millionen Amerikaner, die geheime Dokumente einsehen dürfen. Als Abschreckungsmaßnahme hatten eigentlich drakonische Strafen bei früheren Whistleblowern wie Thomas Drake oder Chelsea Manning wirken sollen, auch im Fall Edward Snowden zeigte die US-Regierung bisher keine Gnade.

Dennoch scheinen Whistleblower Vorbildwirkung zu haben. Wie Glenn Greenwald schon im Februar sagte: "Ich bin sicher, dass sich auch andere in den Behörden Edward Snowden zum Vorbild nehmen und Missstände aufdecken werden." (Fabian Schmid, DER STANDARD, 7.8.2014)