Wien - Die vor zwei Wochen in Begutachtung geschickte Novelle des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes geht der Arbeiterkammer nicht weit genug. Scheinselbstständigkeit boome. Ende Juni hatte die AK die Zustellerbranche im Fokus, diesmal den Bau. Laut einer am Mittwoch präsentierten AK-Studie sind viele "Unternehmer" in Wirklichkeit Abhängige, die am Ende weniger Geld haben als als Arbeiter.

Fassadenarbeiter, Trockenbauer, Maurer, Fliesenleger, Eisenbieger - das sind laut einer Forba-Untersuchung im Auftrag der Arbeiterkammer die "Problemberufe", in denen besonders oft Scheinselbstständige tätig sind. "Sie tun das aus der Not heraus", sagte AK-Präsident Rudolf Kaske bei einer Pressekonferenz. Vor allem Menschen aus den östlichen Nachbarländern "fragen nicht lange nach, wenn sie um einiges mehr verdienen als zu Hause". Allerdings werde durch dieses Pseudo-Subunternehmertum - Baufirmen vergeben Aufträge statt die Menschen anzustellen, um Abgaben zu umgehen - das Lohnniveau in Österreich gedrückt.

Vorgegebene Arbeitszeiten

Scheinselbstständige, erklärte AK-Expertin Doris Lutz, haben in der Regel vorgegebene Arbeitszeiten. Laut der AK-Studie hatten drei Viertel da eine klare Weisung des Bauunternehmers. Datenbasis waren 242 Verdachtsfälle bei 97 Baustellen, die die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) 2012 bzw. 2013 kontrolliert hat. Mehr als 60 Prozent der Überprüften gaben an, nur für einen Arbeitgeber tätig zu sein und mehr als drei Viertel erhielten ihren Lohn regelmäßig - und nicht nach Fertigstellung des "Werks". Weitere Indizien für Scheinselbstständigkeit: Nur 13 Prozent verwendeten laut Eigenangaben eigenes Werkzeug und Arbeitsmaterial, und über 90 Prozent konnten eine Person nennen, die berechtigt war, ihnen Weisungen zu erteilen.

Die Experten der L&R Sozialforschung haben auch die Einkommenssituation unter die Lupe genommen. Männliche Bauarbeiter, die sich selbstständig machten, verdienten als "Unternehmer" in der Regel deutlich weniger. Nur neun Prozent hatten zwei Jahre vor ihrem Übertritt in die Selbstständigkeit ein Einkommen unter 1.000 Euro, nachher war es fast jeder zweite. Bei Frauen stieg dieser Anteil von einem Drittel auf rund 60 Prozent.

Zum Thema neue Selbstständige vermisst die AK eine solide Datenbasis und kritisiert auch die Wirtschaftskammer, die stets von einem EPU-Boom (Ein-Personen-Unternehmen) spreche, jedoch nicht verrate, wie diese Zahlen zustandekommen. Während die WKÖ einen Anstieg der EPU von 183.300 auf knapp 267.000 von 2006 bis 2013 feststelle, sei laut Statistik Austria die Zahl der Unternehmen ohne Beschäftigte, die mehr als 10.000 Euro im Jahr umsetzen, von 2006 auf 2011 nur leicht von 154.627 auf 157.282 gewachsen, so Lutz.

Übertritte

In der Baubranche gingen die Übertritte in die Selbstständigkeit laut L&R Sozialforschung allerdings seit 2006 zurück, und zwar von 2.033 auf 1.532. Der Anteil der Gründer mit Migrationshintergrund stieg in dem Zeitraum leicht von 30 auf 33 Prozent. Gleichzeitig jedoch, so Baugewerkschafter Josef Muchitsch, hätten im Gefolge der Arbeitsmarktöffnung 2011 viele Menschen aus Osteuropa ein "Gewerbe" im Baubereich angemeldet. Möglich mache das die 2003 unter Schwarz-Blau liberalisierte Gewerbeordnung - nunmehr brauche es kaum mehr als ein Stanleymesser, um Unternehmer werden zu können, so Muchitsch.

Ganz in den Griff bekommen werde man Lohn- und Sozialdumping nie, gesteht der Gewerkschafter ein. Und: Österreich sei das einzige Land in der EU, das ein Lohn- und Sozialdumpingsbekämpfungsgesetz habe; dieses wurde im Gefolge der Öffnung des Arbeitsmarkts gen Osten auf den Weg gebracht.

Die nunmehr von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) in Begutachtung geschickte Novelle bleibt in Kaskes und Muchitschs Augen aber hinter den Vorgaben des Regierungsübereinkommens zurück. So solle etwa die Verschärfung bei der Lohnkontrolle nur für den Bau und die Arbeitskräfteüberlassung gelten. Scheinselbstständigkeit und Lohndumping gebe es aber in vielen Branchen, zum Beispiel im Reinigungsbereich, bei Kleintransportern oder in der IT-Branche. Gut findet Kaske, dass künftig Arbeitgeber, die vermeintlich keine Unterlagen vorliegen haben, in etwa gleich viel Strafe zahlen sollen wie Unternehmer, die Lohndumping betreiben, sowie die geplante Beweislastumkehr.

Weitere AK-Forderungen: Bei der Sanktionierung von Unterentlohnung sollen alle Gehaltsbestandteile miteinbezogen und die Subunternehmerkette solle bei öffentlichen Bauaufträgen auf zwei Ebenen beschränkt werden. Letzteres müsste jedoch im Bundesvergabegesetz geändert werden, so Muchitsch. Die Sozialpartner haben gegen das "Billigstbieterprinzip" der öffentlichen Hand bereits im April eine Kampagne gestartet. "Wir wollen heuer noch eine Begutachtung zustandebringen", gibt sich Muchitsch optimistisch. Er erhofft sich Rückenwind durch Bundesländer- bzw. WKÖ-Wahlen. Rund ein Drittel des österreichischen Bauvolumens (33 Mrd. Euro) stehe "im Einflussbereich der öffentlichen Hand". (APA, 6.8.2014)