Wien - "Die Anklageschrift hat mir der Staatsanwalt zum Geburtstag geschickt. Aber wissen Sie, ich betrachte das philosophisch, fast konfuzianisch", sagt Anna P. zu Christian Böhm, dem Vorsitzenden des Schöffensenats. Eine naheliegende Weltsicht - die 55-Jährige ist promovierte Philosophin. Und angeklagt wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs.

Der Vorwurf: Die Unbescholtene soll dreimal Versicherungen betrogen haben. Mit überhöhten Schadensmeldungen nach angeblichen Raubüberfällen. Sie leugnet das - stimmt ihre Verantwortung, muss ihre Familie vom Pech verfolgt sein.

Denn: Im Jahr 2005 soll ihr damals 23-jähriger Sohn in Australien ausgeraubt worden sein - der Schaden betrug 3000 Euro. Zwei Jahre später erwischte es sie in Wien, 7000 Euro wollte sie von der Assekuranz. Und 2012 wurde sie wieder Opfer, diesmal in Zürich, 9000 Euro will sie dort verloren haben.

Die seltsamen Geschichten

Die eingereichten Kaufbeträge sind mehr als dubios, was auch Verteidigerin Sonja Scheed zugesteht. Aber: "Gerade die seltsamen Geschichten sind die, die sich am Ende als wahr herausstellen."

Es ist fürwahr seltsam, was Vorsitzender Böhm dann von der Angeklagten zu hören bekommt. Sie sei nämlich viel öfter überfallen worden, als sie überhaupt den Versicherungen gemeldet habe, behauptet sie. Eine Verschwörung, vermutet sie.

Seit dem Jahr 2000 "wurden alle meine Projekte kontinuierlich kaputtgemacht", beklagt sie. Selbst in Venedig sei sie Opfer geworden. "Das ist auch seltsam, ich habe niemanden von meinen Plänen erzählt und wurde trotzdem überfallen."

Böhm beginnt irgendwann zu stutzen und blättert im Akt, bis er ein von ihm angefordertes psychiatrisches Gutachten findet, in dem der Frau aber Verhandlungsfähigkeit beschieden wird. Und das, obwohl sie dem Vorsitzenden auf Fragen abschweifende Antworten gibt.

Dubiose Rechnungen

Böhms Fragen sind berechtigt. Die eingereichten Rechnungen werfen solche nämlich auf. Den Laptop ihres Sohnes will sie um 1700 Euro in einem Geschäft am Stubenring gekauft haben. Nur: Das Geschäft liegt in der Währinger Straße und führte die Computermarke gar nicht.

Auch die teure Cartier-Füllfeder hat sie wohl eher nicht aus jenem Geschäft, das auf dem Beleg steht. "Unserer teuerstes Produkt war damals ein Staubsauger um 149 Euro", hatte der Geschäftsführer der Polizei während der Ermittlungen erklärt.

Andere Produkte von Nobelmarken will sie von einer Bekannten gekauft haben, zu der sie leider den Kontakt im Jahr 2009 verloren hat. "Aber ich habe schon ein Schreiben an die Staatsanwaltschaft Moskau geschickt, die mir versprochen hat, sie zu suchen", sagt sie.

Die Mitarbeiterin einer Versicherung überrascht als Zeugin den Staatsanwalt: Aus dem Jahr 2009 gibt es nämlich eine weitere Schadensmeldung - der Sohn sei in Brasilien auf der Taxifahrt zum Flughafen beraubt worden und wollte angeblich 2000 Euro. Auch dieser Fall wird in die Anklage inkludiert.

Normale Gespräche mit Detektiv

Interessant ist die Aussage eines Detektivs, der nach dem angeblichen Überfall in Zürich zweimal mit der Angeklagten gesprochen hat. Der kann sich nämlich "an keine gröberen Probleme" bei diesen Gesprächen erinnern, sie seien völlig normal verlaufen.

Böhm will trotzdem ein neues psychiatrisches Gutachten über Frau P. und vertagt auf unbestimmte Zeit. (Michael Möseneder, derStandard.at, 6.8.2014)