Buenos Aires - Die Vorsitzende der argentinischen Menschenrechtsgruppe "Großmütter der Plaza de Mayo" hat ihren vor 36 Jahren von den Militärs geraubten Enkel wiedergefunden. Die Identität des Mannes sei am Dienstag bei einem Gentest festgestellt worden, sagte die 83-jährige Estela Carlotto in Buenos Aires. "Ich danke Euch allen. Ich wollte ihn noch einmal in die Arme nehmen, bevor ich sterbe."

Ihre Tochter Laura Carlotto, Mitglied der linksperonistischen Stadtguerilla Montoneros, war 1977 von der rechtsgerichteten Militärjunta in ein Gefangenenlager gesteckt und gefoltert worden, sie war damals im dritten Monat schwanger. Zwei Monate nach der Geburt ihres Sohnes Guido im Juni 1978 wurde sie per Kopfschuss getötet.

Baby von Militär abgegeben

Ihr Baby durfte sie nach Angaben ihres Bruders, des peronistischen Abgeordneten Remo Carlotto von der Regierungspartei Front für den Sieg, gerade einmal fünf Stunden bei sich haben. Das Baby wurde von einem Militärangehörigen an eine Familie übergeben, die es nach Carlottos Angaben vermutlich ohne Wissen um seine genaue Herkunft aufnahm und großzog.

Der inzwischen 36-Jährige lebt als Ignacio Hurban in Olavarria, 350 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Buenos Aires. Nach Angaben der Justiz und von Angehörigen unterzog er sich freiwillig einem Gentest, um seine Herkunft zu klären. "Er ist sehr glücklich und aufgewühlt, wir werden ihn bald sehen", sagte seine Tante Claudia Carlotto am Dienstag. Ihr Enkel brauche ein wenig Zeit, um das alles zu verarbeiten, fügte Estela Carlotto hinzu. Mit seiner biologischen Familie telefonierte er erstmals am Dienstag.

Zwangsadoptierte Männer und Frauen

Die Pressekonferenz Carlottos fand im Beisein ihrer drei Kinder, 14 Enkelkinder und zwei Urenkelkinder statt. Ebenfalls anwesend waren etwa 20 während der Militärdiktatur von Regierungsanhängern zwangsadoptierte Männer und Frauen im Alter von Mitte dreißig, die zum Teil mithilfe der "Großmütter der Plaza de Mayo" hinter ihre wahre Identität kamen.

In der Zeit der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 raubte die Junta etwa 500 Kinder von Regimekritikern. Carlottos Enkel ist das 114. von ihnen, das von den Familien wiedergefunden wurde. Die Großmütter der Plaza de Mayo und die Schwesterorganisation Mütter der Plaza de Mayo führen die landesweite Suche nach den geraubten Kindern. Estela Carlotto, deren Leben der Film "Verdades Verdaderes" (Wirkliche Wahrheiten) 2011 ein Denkmal setzte, versprach, dass auch sie persönlich die Suche fortsetzen werde.

Diktatoren wegen Babyraub verurteilt

Wegen des Babyraubs während der Militärdiktatur wurden die beiden ehemaligen Diktatoren Jorge Videla und Reynaldo Bignone 2012 zu 50 beziehungsweise 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Beide verbüßten zu diesem Zeitpunkt bereits lebenslange Haftstrafen wegen Menschenrechtsverletzungen. Videla starb im Mai 2013. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden unter der Militärherrschaft rund 30.000 Menschen ermordet oder verschwanden spurlos. (APA, 6.8.2014)