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Der dritte Mann: Selahattin Demirtas tritt gegen Premier Erdogan und den liberal-konservativen Ihsanoglu bei der Präsidentenwahl an. Vor allem im Südosten der Türkei, wie hier in Van, findet er Zuspruch.

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Recep Tayyip Erdogan will kein Georgier und schon gar kein Armenier sein.

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Ihre Partei haben sie gerade wieder umbenannt. BDP ist jetzt DBP, Partei der demokratischen Regionen statt Partei des Friedens und der Demokratie. Andererseits ist die BDP samt parlamentarischer Gruppe auch in der neuen HDP aufgegangen, der Demokratischen Partei des Volkes. "Ein bisschen kompliziert", gibt Ergin Dogru zu, Parteichef (DBP) in Tunceli, der ostanatolischen Provinz, die sich wieder Dersim nennen darf.

Die Kurden in der Türkei machen derzeit einen Spagat: Sie bunkern sich ein, und sie strecken ihre Arme nach neuen Wählern im Land aus wie nie zuvor. Ergin Dogru, der Mann in Tunceli, erklärt diese politische Gymnastik. DBP werde eine ideologische Partei für das türkische "Kurdistan" sein, sagt er, "eine Kaderpartei, die nicht bei Wahlen antritt".

"Neues Leben"

Das Tagesgeschäft soll dagegen die HDP erledigen, eine Regenbogenpartei, die linke Gruppen, die Kurden und andere Minderheiten in der Türkei um sich versammelt und einen eigenen Kandidaten für das Präsidentenamt ins Rennen geschickt hat - Selahattin Demirtas, den smarten 41-jährigen Kovorsitzenden der HDP.

"Demirtas steht für Wandel, die anderen für den Status quo", sagt Ergin über die ungleichen Mitbewerber, den türkischen Regierungschef Tayyip Erdogan und den liberal-konservativen Professor Ekmeleddin Ihsanoglu. Demirtas verspricht der Türkei ein "neues Leben" - das ist sein Wahlslogan - und Dogru, der kurdische Lokalpolitiker, die "demokratische Autonomie", eine Dezentralisierung der Türkei, nicht nur für den mehrheitlich kurdischen Südosten, und mehr Teilhabe der Bürger. Darin treffen sich Dermirtas, der Präsidentenkandidat, und der "Kaderpolitiker" aus Tunceli.

Erdogan zu Kurden: "Meine Brüder"

Erdogan hat in den vergangenen Jahren große Schritte hin zu den Kurden getan. "Meine Brüder" nennt er sie jetzt in seinen Wahlreden; für das Massaker des türkischen Staats in Dersim in den Jahren 1937 und 1938 entschuldigte er sich. Und vor allem hat er das Wagnis von Friedensverhandlungen mit der kurdischen Untergrundarmee PKK auf sich genommen. Für die Wahl am Sonntag braucht Erdogan auch die Stimmen konservativer Kurden.

"Nur zum eigenen Nutzen"

"Wir wissen, dass er es nur zu seinem eigenen politischen Nutzen macht", sagt Ergin Dogru über Erdogan und die Friedensverhandlungen, die in der Türkei "Lösungsprozess" heißen - politisch korrekt und den Umstand verhüllend, dass der Staat mit Leuten spricht, die offiziell noch als Terroristen gelten.

Keiner der bisher getanen Schritte stelle einen Frieden sicher, der auf legalen Garantien beruhe, heißt es in Tunceli. Die Kurden hier nennen sich Zaza, der Sprache wegen, die sie sprechen, und sie gehören der religiösen Minderheit der Aleviten an. Auch Selahattin Demirtas ist ein Zaza. Und Kemal Kiliçdaroglu, der Chef der sozialdemokratischen Opposition, stammt aus Tunceli.

Ethnisch-religiöse Karte

Das ist im Endspurt dieses Wahlkampfs noch bedeutsamer geworden. Denn Tayyip Erdogan spielt nun wieder die ethnisch-religiöse Karte, um die Stammwählerschaft an sich zu binden. "Kiliçdaroglu, du magst ein Alevi sein. Sag es laut! Ich bin Sunni", rief Erdogan bei einer Massenveranstaltung in Izmir. Sunniten gelten als konservativ, Aleviten als liberal und mehr um die Gleichstellung von Frauen bemüht. Im gleichen Atemzug attackierte Erdogan den Kurden Demirtas: "Wir sprechen von 'einer Nation', aber ein Kandidat sagt dauernd, es soll keine 'eine Nation' geben."

Demirtas wies Erdogans Äußerungen als "sektiererisch" zurück. Angesichts der öffentlichen Kritik setzte der türkische Premier noch einen drauf. Er selbst sei schon als Georgier beschimpft worden: "Einer hat mich noch Hässlicheres genannt - einen Armenier." (Markus Bernath aus Tunceli, DER STANDARD, 7.8.2014)