"Viele Immobilienhaie, Firmensprecher, Bankmanager, Versicherungsleute finden mich übrigens nicht so wahnsinnig nett": Peter Resetarits.

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STANDARD: Sie kommen gerade von einer Österreich-Rundfahrt, um für die "Sommergespräche" Fragen von Bürgerinnen und Bürgern an die Parteichefs einzusammeln. Was brennt denn den Menschen so unter den Nägeln?

Resetarits: Jetzt muss ich aufpassen: Meine Redakteure schimpfen mich, dass ich schon vorher alle Fragen verrate. Es kommen überraschende Dinge, die mir so wirklich nicht eingefallen wären, und die bei Politikergesprächen üblicherweise nicht kommen. Darüber muss ich aber den Mantel des Schweigens breiten.

STANDARD: Aber man kann von einer gewissen Verdrossenheit über die Politik ausgehen?

Resetarits: Wenn ich beginne mit: Was würden Sie gerne die Politiker fragen, kommt eine Pause, und dann: "Gehn's, hörn's mir auf mit der Politik." Warum? Dann sagen 80 Prozent: "Die Politikergeneration heute ist das Letzte überhaupt. Die versprechen ja nur vor der Wahl, halten tun sie nichts, zusammenbringen tun sie nichts, streiten tun's nur." In Einzelfällen: "Korrupt sind's auch noch." Und nach zwei bis drei Minuten kann das eigentliche Gespräch beginnen.

STANDARD: Und welche Themen kommen dann?

Resetarits: Zum Beispiel: Die Politiker sagen und die Zeitungen schreiben, wir sollen alle länger hackeln, sie unterstellen uns, dass wir faul sind, Pensionsweltmeister, und eh nur in die Rente gehen wollen. Und dann erzählen die Leute, wie es ist, wenn man mit 55, 56, 57 Jahren aus einer Firma gemobbt wird. Wenn man mit 58, 59 am AMS steht. Wenn man zehn Briefe am Tag schreibt, und acht davon nicht einmal beantwortet werden. Und dann erzählen sie uns, wir sollen bis 65 hackeln? Wie soll das gehen?

STANDARD: Müssen wir mit also mit eher deprimierten und deprimierenden Beschimpfungssendungen rechnen?

Resetarits: Ich überlege noch, ob ich die Beschimpfungen hineinnehme oder nur erzähle. Tendenziell lass' ich sie weg. Ich will ja auf die sachlichen Themen eingehen. Teures Wohnen haben wir hundertmal gehört. - "Ein Wahnsinn, die Jungen können sich das nicht mehr leisten." Wir können dann anhand von konkreten Einzelfällen mit den Parteichefs über Lösungsansätze reden - die sich ja etwa bei Mieten zwischen Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten ziemlich unterscheiden. Wir müssen nur aufpassen, mit Einzelfällen Politiker nicht zu überfordern: Wenn jemand Pflegestufe 2 hat und erklärt, ihm gebührt Pflegestufe 3 - das kann man im Studio nicht wirklich klären.

STANDARD: Aus dem Sendungsformat - wir sammeln Fragen von Bürgern - ergeben sich also Themen wie Pensionen, Soziales...

Resetarits: ... Wirtschaft, wir haben auch Wirtschaftstreibende gefragt, die sich sehr konkret aufregen. Steuern kommen immer wieder - Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern. Etliche Studenten haben sich gemeldet und gute Fragen gestellt. Einige sind auch aus persönlichen Gesprächen mit Politikern enttäuscht: "Die sagen, sie kümmern sich, und dann schleichen sie sich und nichts passiert."

STANDARD: Publikumsfragen bei TV-Diskussionen - wie zuletzt etwa bei der Puls-4-Wahlarena - sorgen regelmäßig für für Debatten über die Authentizität der Statements. Bei Ihnen könnten sich zum Beispiel für diesen oder jenen Parteichef erwünschte Frager von den Kinderfreunden, von der FPÖ-nahen AUF oder vom ÖVP-Seniorenbund gemeldet haben.

Resetarits: Ich habe mit an die 100 Leuten zehn, 15, 20 Minuten lang gesprochen. Ich hatte bei allen den glaubhaften Eindruck, dass das keine von wem auch immer geschickten Leute sind. Ich denke, ich bin lange genug in diesem Geschäft, um ein Gefühl dafür zu entwickeln. Ich glaube, wir sind bis jetzt in keine Falle getappt. Aber ausschließen kann man das nie. Ich glaube auch, dass die politischen Parteien noch nicht so schnell reagiert haben, die entsprechenden Abgesandten an die richtigen Plätze zu schicken.

STANDARD: Wie sind Sie zu Ihren Fragestellern gekommen? Sie stellen sich auf den Marktplatz von Ried im Innkreis...

Resetarits: Wir haben es über mehrere Stränge versucht. Wir haben das Publikum aufgefordert, uns zu schreiben. Das haben ziemlich viele Leute getan. Zu Menschen mit spannenden Themen, die womöglich auch Kurzporträts tragen, sind wir gefahren und haben mit ihnen geredet. Wir haben für fast jedes der "Sommergespräche" schon zwei dieser Kurzporträts, die uns spannend, typisch erschienen sind, und die zum jeweiligen Politiker vielleicht konfrontativ passen. Und immer wenn ich in ein Landesstudio gefahren bin, habe ich vorher die Werbetrommel gerührt, wann ich da bin. Manchmal steht man dann trotzdem ganz allein mit dem Kamerateam da - und niemand will was fragen. Dann gehe ich eben auf die Leute zu.

STANDARD: Wieviele Fragen, Themen kann man pro Sendung erwarten?

Resetarits: Ich hab noch keine Ahnung. Ich habe für die erste Sendung am kommenden Montag ein Konzept geschreiben - aber ob das so funktionieren kann, werden wir noch oft durchdiskutieren. Ich hatte echt Sorge, ob das Konzept aufgeht mit dem Mann und der Frau von der Straße, ob sie Plattitüden erzählen, und was sie in der Zeitung gelesen haben, oder ob sie überhaupt mit uns reden. Euphorisch wäre zuviel, aber ich bin relativ guter Dinge nach den Drehs etwa in Innsbruck oder Graz, weil wir wirklich spannende und gute Gespräche geführt haben.

STANDARD: Wonach suchen Sie die Fragen aus 100 Interviews a zehn bis 20 Minuten für sechs Parteichefs aus?

Resetarits: Ein paar Fragen und Vorschläge sind an konkrete Personen gerichtet. Wenig überraschend gibt es viel Polarisierendes zu Grünen und H.C. Strache. Bisschen schwieriger ist es bei den kleinen neuen Parteien, Team Stronach und NEOS. Da hat sich herausgestellt, dass Menschen sie nicht so wirklich kennen und nicht genau wissen, wofür die stehen. Damit haben sie auch wenig Wünsche oder Forderungen an sie und formulieren vielleicht eher vielleicht Enttäuschung oder Unmut. Da wird man wahrscheinlich zu Parteiprogramm und ideologischen Grundsatzfragen kommen müssen - klingt saufad, kann aber anhand von konkreten Fällen vielleicht auch eine spannende Diskussion ergeben.

STANDARD: Das Publikum fragen zu lassen, kann auch bedeuten: Der Sendungsmacher, der Interviewer lässt andere zu Wort kommen - tatsächlich aber steuert er natürlich die Inhalte durch die Auswahl der Publikumsfragen.

Resetarits: Also quasi: Der lässt die Leute die Frechheiten sagen...

STANDARD: ... oder umgekehrt: Er sucht besonders Nettes aus, was dem Politiker nicht zu weh tut.

Resetarits: Besonders nett bringt ja nicht wahnsinnig viel. Es gibt wirklich wenige Leute, die was Nettes über die Politiker gesagt haben. Von 100 Leuten, die ich gefragt habe, haben vielleicht zwei oder drei gesagt: Hört doch auf mit dem Schlechtreden, Österreich ist ein gutes Land, und die Politiker bemühen sich eh und bekommen aus meiner Sicht zuwenig gezahlt. Die anderen waren sehr kritisch, und zwar durch die Bank gegenüber allen. Noch am wenigsten kritisch gegenüber jenen, die sie als kleinstes Übel empfinden. Mir ist wichtig, Lebensrealität in die Sendung zu bringen, die öffentliche Meinung ins Studio zu holen. Wir probieren, auch Dinge ins Studio zu bringen, die politisch vielleicht ein bisschen unkorrekt sind, aber die die Menschen beschäftigen. Mir ist es manchmal ganz angenehm, dass ich das nicht sagen muss, sondern einen O-Ton hinlegen kann: So reden die Leute.

STANDARD: Über...?

Resetarits: Ausländer zum Beispiel. Das Thema kommt extrem oft. Wir waren in Graz, in einem Viertel namens Lend, da reden die Leute relativ ungeschminkt, aber auch nachvollziehbar über die Probleme, die sie dort haben. Und sie können glaubhaft ihren Eindruck argumentieren, dass sich die Politik vor all diesen Dingen versteckt.

STANDARD: Warum zeichnen Sie die Fragen vorher auf, statt sie ins Studio einzuladen? Warum dieser Zwischenschritt?

Resetarits: Das war ein pragmatischer Ansatz. Ich habe mir das wirklich lange überlegt. Zwei Argumente haben für die Variante gesprochen: Eine föderale Durchmischung ist manchmal schwer zu bewerkstelligen, weil die Leute aus Innsbruck, Bregenz, Salzburg sich nicht in den Zug setzen wollen - und dann womöglich nicht drankommen. Das gelingt mit der Tour ganz gut. Und das zweite, gewichtigere Argument: Vor Bürgerforen redet man mit Leuten, deren Spontaneität, Witzigkeit, Angriffigkeit, Authentizität einen im persönlichen Gespräch umhaut. Vor der Livekamera sitzen sie blass im Studio, lesen vom Blatt ab und kommen nicht zum Punkt. Das geht beim "Bürgerforum" auf 90 oder 100 Minuten. Bei 45 Minuten "Sommergespräch" wäre mir das Risiko zu groß, all die Themen unterzubringen, die ich mir vorgenommen habe. Und selbst wenn man die Leute brieft und ihnen einschärft, sie haben nur 30 Sekunden, dann wirkt das Ergebnis leider manchmal wie Laientheater.

STANDARD: Könnte es sein, dass Parteichefs lieber mit Peter Resetarits und vorsortierten Fragen aus dem Volk zu reden als mit einem klassischen Politinterviewer wie Armin Wolf oder Gabi Waldner?

Resetarits: Wenn man das klassische Innenpolitikinterview machen wollte, gäbe es eine Reihe von Leuten, die das besser können, auch mit mehr Hintergrundwissen als ich. Meine Stärke kommt zum Tragen, wenn es in die Themen geht. Verwaltungsrecht zum Beispiel. Das klingt saufad, betrifft die Leute aber - etwa beim Wohnen oder Steuerrecht. Viele Immobilienhaie, viele Unternehmenssprecher, viele Bankmanager, viele Versicherungsleute finden mich übrigens nicht so wahnsinnig nett. Ich habe heute erst wieder eine Klagsdrohung bekommen wegen der letzten Ausgabe von "Schauplatz Gericht".

STANDARD: Wann sind für Sie die "Sommergesprächen" gut gelungen?

Resetarits: Ich gehe nicht ins Studio mit dem Ziel, dass ein Politiker weinend vor laufender Kamera seinen Rücktritt erklärt, ich ihn tröste und ihn stütze, wenn ich ihn aus dem Studio begleite. Ich freue mich, wenn ich gute Antworten kriege, wenn ich auf ein paar Widersprüche hinweisen kann, und vor allem, wenn ich Politiker mit dem konfrontieren kann, was die Leute auf der Straße sagen. Und das ist, soweit ich es bis jetzt sehe, nicht ohne. (Harald Fidler, DER STANDARD, 7.8.2014; Langfassung)