Bild nicht mehr verfügbar.

Gedenken an die Opfer der Schreckensherrschaft: Das frühere Foltergefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh ist ein Museum geworden, das die blutige Ära der Öffentlichkeit zu vermitteln versucht. Für viele Menschen kommen die Urteile zu spät.

Foto: REUTERS/Damir Sagolj

Bild nicht mehr verfügbar.

Sie hatten alle Schuld abgestritten: der Stellvertreter Pol Pots, Nuon Chea, ...

Foto: EPA/NHET SOK HENG

Bild nicht mehr verfügbar.

...und der frühere Präsident Khieu Samphan.

Foto: REUTERS/Mark Peters

Das Urteil gilt als historisch: Mehr als dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Terrorregime der Roten Khmer in Kambodscha hat das von den Vereinten Nationen unterstützte Völkermordtribunal die beiden höchstrangigen noch lebenden Anführer zu lebenslanger Haft verurteilt. "Bruder Nummer zwei" Nuon Chea, inzwischen 88, und der 83-jährige frühere Präsident Khieu Samphan mussten sich unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Die Anwälte der Angeklagten haben bereits angekündigt, gegen das Urteil berufen zu wollen.

Der Richterspruch war lange erwartet worden. Zwischen 1975 und 1979 hatten die ultramaoistischen Roten Khmer unter der Führung von "Bruder Nummer eins" Pol Pot in dem Wahn, einen reinen Agrarstaat aufzubauen, ein beispielloses Blutbad angerichtet. Etwa zwei Millionen Menschen kamen ums Leben - mehr als ein Viertel der damaligen Bevölkerung. Doch das Urteil bleibt nicht ohne Beigeschmack. Menschenrechtsorganisationen werfen Premier Hun Sen vor, in die Arbeit des Tribunals massiv eingegriffen zu haben.

Kontrollierte Justiz

"Das sollte eigentlich das bedeutendste Urteil in der Geschichte Kambodschas sein - und eines der bedeutendsten in der Geschichte der internationalen Justiz", sagte etwa Brad Adams, Asien-Direktor von Human Rights Watch, dem Standard. Doch Hun Sen kontrolliere die kambodschanische Justiz und habe ihm hörige Richter für das Tribunal ernannt, die seine Befehle befolgten.

So habe der Premier - einst selbst Roter Khmer, dann Überläufer - Einfluss auf die Auswahl der Angeklagten genommen und auch Verfahren jahrelang so verzögert, dass wichtige Anführer gestorben seien, bevor sie belangt werden konnten. "Anstatt eines unparteiischen, professionellen Prozesses hatten wir ein politisiertes Verfahren, in dem Hun Sen entschieden hat, wer strafrechtlich verfolgt wird und wer nicht" , sagt Adams, der das Tribunal schlicht als "ein Scheitern" bezeichnet.

Rupert Abbott, Vizedirektor des Asien-Programms von Amnesty International, kann dem Gericht auch Positives abgewinnen. "Es hat den Menschen sicherlich den Raum gegeben, mehr darüber zu sprechen, was passiert ist." Und erstmals überhaupt sei Opfern internationaler Verbrechen formal die Möglichkeit gegeben worden, als Nebenkläger an Prozessen teilzunehmen. Aber auch Abbott spricht von Behinderungen und offensichtlicher Einflussnahme. "Das besudelt das Urteil."

Rücktritte aus Protest

Manipulationen ermöglicht schon die Struktur des Gerichts: entgegen einem ursprünglichen UN-Vorschlag ist das Tribunal keine unabhängige internationale Institution, sondern ein kambodschanisches Ad-hoc-Gericht mit internationaler Unterstützung, in dem kambodschanische Richter die Mehrheit stellen. Zwei internationale Untersuchungsrichter kapitulierten bereits aus Protest gegen politische Einmischung.

Das Urteil ist erst das zweite in der Geschichte des Tribunals. 2010 war der ehemalige Chef des Foltergefängnisses Tuol Sleng, Kang Kek Leu, genannt "Duch", verurteilt worden. Gegen fünf weitere Personen laufen Ermittlungen. Premier Hun Sen hat bereits öffentlich angekündigt, keine weiteren Anklagen zulassen zu wollen. Adams sagt: "Es hätten hunderte Fälle mehr sein sollen."

Der Regierung gehe es dabei um Kontrolle und die eigene Macht, meinen Experten. "Hun Sen hat ein fein austariertes, sehr kompliziertes Machtsystem errichtet, was es möglich macht, an der demokratischen Verfassung vorbeizuregieren und ein autoritäres Regime aufrechtzuerhalten", sagt Markus Karbaum, Politikberater mit Schwerpunkt Südostasien, der auch als Gutachter für das Tribunal tätig war, dem Standard. "Jede Unwägbarkeit, die dieses System ins Wanken bringen könnte, wird von ihm zwangsläufig als Bedrohung empfunden." Zu viel Staub soll das Tribunal bloß nicht aufwirbeln.

Viele Menschen in Kambodscha sind Karbaum zufolge enttäuscht, dass die Urteile erst jetzt gesprochen wurden. "Selbst junge Menschen sagen: Wichtiger Tag, wichtiges Urteil - nur leider viel zu spät." Das anfängliche Interesse für das Gericht sei rasch abgeflaut und zuletzt fast ganz zum Erliegen gekommen.

Gegen die beiden Verurteilten läuft ein zweiter Prozess wegen Völkermords. Doch angesichts des Alters der Angeklagten bezweifeln Beobachter, dass er überhaupt zum Abschluss gebracht werden kann. (Julia Raabe, DER STANDARD, 8.8.2014)