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Die US-Kampfflugzeuge starteten vom Flugzeugträger George H. W. Bush, der im persischen Golf kreuzt.

Foto: AP Photo/Bullit Marquez

US-Präsident Obama gibt Luftangriffe im Irak bekannt.

The White House

Washington/Bagdad − Erstmals seit Beginn der Gräueltaten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak haben die USA knapp drei Jahre nach ihrem Abzug aus dem Land am Freitag Luftangriffe gegen die Extremisten geflogen. Dabei wurden nach Angaben aus der Autonomieregion Kurdistan mindestens 20 Jihadisten getötet. Wie am Samstag aus kurdischen Kreisen verlautete, wurden 55 weitere Personen bei der Bombardierung in der Khasir-Region nördlich von Mossul und Erbil verletzt. Auch kurdische und irakische Einheiten erhöhen den Druck auf die Dschihadisten.

Kampfjets hätten bei einer ersten Angriffswelle Artilleriegeschütze der Terroristen nahe der nordirakischen Stadt Erbil bombardiert, teilte Pentagonsprecher John Kirby mit. Dort befindet sich ein Generalkonsulat der USA, außerdem halten sich US-Militärberater in der Stadt auf.

Bei einem zweiten Luftschlag am Abend seien wiederum Artilleriestellungen und Fahrzeuge der IS-Extremisten mit einer Drohne und F-18-Kampflugzeugen angegriffen worden. Dabei seien auch Laserbomben abgeworfen worden, sagte Kirby. Die Terroristen seien "angegriffen und erfolgreich eliminiert" worden.

Obama: "Lassen kein Kalifat im Irak zu"

US-Präsident Barack Obama hatte die Luftschläge zum Schutz amerikanischer Militärs und bedrohter Minderheiten im Nordirak genehmigt. "Wir werden es nicht zulassen, dass sie ein Kalifat in Syrien und im Irak errichten", sagte Obama in einem Interview der "New York Times". Voraussetzung sei aber, dass die politischen Spitzen im Irak die Regierungskrise beenden und einen Weg der Zusammenarbeit finden. Wenn es Partner in der irakischen Führung gebe, sei eine größere Unterstützung der USA denkbar, um die radikalen Kämpfer der Extremistenbewegung Islamischer Staat (IS) zurückzudrängen.

In seiner wöchentlichen Radioansprache am Samstag erklärte Obama, die USA werden die Luftangriffe auf die IS-Jihadisten im Irak "wenn nötig" fortsetzen. Die Angriffe dienten dem Schutz von US-Diplomaten und Militärberatern in der Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete Erbil. "Und, wenn nötig, werden wir das fortsetzen."

Zudem begründete er die Anordnung von "gezielten Angriffen" auf Stellungen der Jihadisten der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS, vormals ISIS/ISIL), die tausende Yeziden im Sinjar-Gebirge bedrohen: "Wenn es eine Situation wie diese auf dem Berg gibt, wenn zahllosen unschuldigen Menschen ein Massaker droht, und wenn wir die Fähigkeit haben, das zu verhindern, dann können die USA nicht einfach wegschauen."

Keine Bodentruppen aus den USA

Eine Entsendung von US-Bodentruppen schloss Obama am Samstag abermals aus. "Ich werde es nicht zulassen, dass die USA in einen neuen Irak-Krieg gezogen werden. US-Kampftruppen werden nicht in den Irak zurückkehren." Die USA wollten aber gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verhindern, dass "diese Terroristen einen dauerhaften Rückzugsort haben, von dem sie die USA angreifen können".

In einer Ansprache im Weißen Haus kündigte Obama am Donnerstagabend zugleich einen Hilfseinsatz für die Flüchtlinge im Nordirak an. Seit der Eroberung der nordirakischen Stadt Mossul durch die IS-Milizen im Juni sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht.

Zeitgleich mit den US-Luftangriffen verstärkten kurdische und irakische Einheiten ihre Angriffe auf die Dschihadisten. Zehntausende Angehörige der jesidischen und der christlichen Minderheiten versuchten weiter, sich vor den äußerst brutalen Extremisten in Sicherheit zu bringen. Die UN bereiteten einen humanitären Korridor für die Hilfsbedürftigen vor.

US-Angriffe auf mobile Artillerieeinheit der IS

Beim ersten US-Luftangriff hatten laut Pentagon zwei F18-Kampfjets 220 Kilogramm schwere, lasergelenkte Bomben auf eine mobile Artillerieeinheit abgeworfen. Laut CNN wurden die Angriffe mit Kampfjets vom Flugzeugträger "George H.W. Bush" geflogen, der bereits im Juni in den Persischen Golf verlegt worden war.

Vor den Luftangriffen hatten drei US-Frachtflugzeuge und zwei Kampfjets 8000 Fertigmahlzeiten und 20.000 Liter Wasser über dem Sindschar-Gebirge im Nordirak abgeworfen. Damit sollte den Tausenden Jesiden und Christen, die sich aus Angst vor Verfolgung und Gewalt vor den sunnitischen Extremisten verstecken, geholfen werden. Auch Großbritannien schickte Flugzeuge, um Lebensmittel abzuwerfen. Am Samstag wurden erneut Lebensmittel und Wasser für die notleidenden Zivilisten im Nordirak abgeworfen.

Der UN-Sicherheitsrat in New York rief alle Staaten auf, die Regierung in Bagdad gegen die Extremisten zu unterstützen. "Wir sind empört, dass Zehntausende Menschen zur Flucht gezwungen wurden", hieß es in der Erklärung. Menschen würden nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Glaubens oder ihrer politischen Ansichten verfolgt und ermordet. "Alle Seiten müssen zusammenarbeiten, um Iraks Souveränität, Einheit und Unabhängigkeit zu sichern."

Frankreich begrüßte das Eingreifen der USA. Frankreich sei bereit seinen Teil dazu beizutragen, um gemeinsam mit den USA und anderen Partnern dem Leiden der Zivilbevölkerung ein Ende zu bereiten. Mögliche Maßnahmen würden geprüft, hieß es in der Mitteilung aus dem Elyseepalast ohne weitere Erläuterungen.

"Neue Dimension des Schreckens"

Die Ermordung, systematische Vertreibung oder Zwangskonversion von Christen, Yesiden (Jesiden) und anderen religiösen Minderheiten durch die Terroristen bedeute eine "neue Dimension des Schreckens", sagte Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Das jüngste Vorgehen der IS-Miliz zeige, wie hochgefährlich diese Gruppe für Frieden und Stabilität in der gesamten Region sei.

Nach Angaben der kurdischen Nachrichtenseite "Rudaw" waren 50.000 Yesiden nach ihrer Flucht vor den Dschihadisten tagelang in dem Gebirge eingeschlossen. Mindestens 70 Menschen seien an Unterversorgung gestorben. Viele würden sich inzwischen von Blättern ernähren, berichten Augenzeugen. Einem Bericht des kurdischen Nachrichtenportals "Basnews" zufolge konnten kurdische Soldaten inzwischen eine große Zahl der Flüchtlinge in Sicherheit bringen.

Kurdische Reporterin bei Jihadisten-Angriff getötet

Unterdessen ist beim Angriff von Jihadisten auf ein Lager im Nordirak offenbar eine kurdische Reporterin getötet worden. Deniz Firat sei am Freitag von einem Granatsplitter im Herzen getroffen worden, erklärte die Nachrichtenagentur Firat, einer ihrer Arbeitgeber, auf ihrer Website.

Demnach ereignete sich der Vorfall in dem Ort Makhmur (Machmur) etwa 280 Kilometer nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. Dort sind Familien von türkischen PKK-Kämpfern in einem Lager untergekommen. Makhmur war in den vergangenen Tagen mehrfach von Kämpfern der Jihadistengruppe Islamischer Staat (IS) angegriffen worden.

Nach Angaben kurdischer Vertreter war Machmur auch Ziel der ersten Luftangriffe des US-Militärs am Freitag. Die Journalistin arbeitete für mehrere Medien, darunter Firat. Die Nachrichtenagentur hat Verbindungen zu der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Viele PKK-Kämpfer sind derzeit im Norden Iraks im Einsatz gegen die Dschihadisten. Einem PKK-Vertreter zufolge starb Firat am Freitagnachmittag während Gefechten zwischen IS- und PKK-Kämpfern.

Bei den Kämpfen gegen die Terrormiliz wurden nach Angaben der Autonomieregierung im Nordirak seit Juni insgesamt 150 kurdische Soldaten (Peschmerga) getötet. 500 weitere seien verwundet worden. Die Peschmerga-Armee reorganisiere sich derzeit neu, sagte der Stabschef im Präsidialamt, Fuad Hussein. Er betonte aber, dass die Dschihadisten über moderne Waffen verfügten, die sie der irakischen Armee abgenommen hätten. Zugleich bestätigte er, dass sich der strategisch wichtige Mossul-Staudamm in der Hand der Extremisten befinde.

Flüge abgesagt

Die Lufthansa und andere internationale Fluggesellschaften sagten alle Flüge nach Erbil ab. Lufthansa und Austrian Airlines (AUA) würden die nordirakische Stadt aus Sicherheitsgründen zunächst bis zum 11. August nicht mehr anfliegen.

Papst Franziskus schickt mit dem Kardinal und Irak-Kenner Fernando Filoni einen hochrangigen persönlichen Gesandten zu den Christen in der Region, wie der Vatikan mitteilte. In einem flammenden Appell hatte Franziskus die Staatengemeinschaft am Donnerstag zu einem verstärkten Einsatz für die von Gewalt und Vertreibung betroffenen Menschen im Nordirak aufgerufen. (APA/Reuters, red, derStandard.at, 09.08.2014)