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Experten fordern erste Schritte auf dem Weg zum gemeinsamen Lernen.

Foto: APA/Uwe Anspach

Wien - Ein Bericht des STANDARD, wonach die Zahl jener Schüler, denen "sonderpädagogischer Förderbedarf" (SPF) attestiert wird, kontinuierlich steigt, hat die Debatte um die Sonderschule neu angefacht.

Wahlfreiheit ...

Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) will, dass Sonderschulen bis 2020 die Ausnahme sind, darüber hinaus verweist sie aber auf die Wahlfreiheit der Eltern. Diese könnten entscheiden, ob ihr Kind eine Sonderschule oder eine Integrationsklasse besucht. Einzelne Sonderschulen müssten also auch künftig bestehen bleiben.

... und ihre Grenzen

Gottfried Biewer, der an der Uni Wien die einzige österreichische Professur im Spezialgebiet Inklusion innehat, hält im Gespräch mit dem STANDARD wenig von der ministeriell propagierten Freiheit. Diese sei eine "Wahl zwischen zwei ungleichen Optionen“. So wäre etwa die „Rundumbetreuung“, beispielsweise ein Fahrtendienst, gerade für Eltern schwerstbehinderter Kinder mitunter Anreiz, sich für die Sonderschule zu entscheiden. Biewer: "Man müsste der Inklusion faire Chancen geben“, also die Strukturen umbauen. "Dann würde die Wahl anders ausfallen.“

Künftig keine Erstklässler mehr in der Sonderschule

Eine solche Änderung hält Biewer auch für finanziell argumentierbar, seien doch die Sonderschulen extrem teuer. Biewers Vorschlag zum schrittweisen Ende der Sonderschule: Ab dem Schuljahr 2015/16 sollten keine ersten Klassen mehr eröffnet werden. Das würde zunächst "unter 1000 Kinder“ betreffen, würde aber mit dem schrittweisen Stopp der zweiten und dritten Klassen laufend mehr. Nach neun Pflichtschuljahren wäre dieser "Umbau von unten“ abgeschlossen – eine Verordnung aus dem Unterrichtsministerium reiche dafür.

Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze, die das Bildungskapitel der von Österreich bereits 2008 ratifizierten UN-Konvention, wonach Kinder mit Handicap nicht ausgeschlossen werden dürfen, mit verhandelt hat und jetzt als Vorsitzende des Monitoringausschusses über die Umsetzung dieses Versprechens wacht, hält dagegen eine Abschaffung bereits 2015 für realistisch - bei entsprechendem politischem Willen.

Wenig verbindlich

Verbindlich ist Österreichs Bekenntnis zur Gleichstellung und Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen nur beschränkt: Einzige Sanktionsmöglichkeit vonseiten der UN ist eine sogenannte "Staatenprüfung", die im Falle Österreichs zuletzt 2013 stattfand und mit dem Aufzeigen bekannter Versäumnisse geendet hat.

"Ungenügende Anstrengungen"

Schulze kritisiert neben der generell "sehr schwach ausgeprägten Kultur" hierzulande, was Menschenrechte im Bildungsbereich anlangt, vor allem Österreichs Doppelspiel. So könne sich ein betroffenes Kind aufgrund des Erfüllungsvorbehalts der UN-Konvention erst dann darauf berufen, wenn sich die einzelnen Bestimmungen in österreichischem Recht niederschlagen.

Gleichzeitig habe die Republik bei der Ratifizierung aber keinen Handlungsbedarf gesehen. Anders der zuständige Ausschuss der Vereinten Nationen: "Der Ausschuss ist besorgt, dass der Fortschritt in Richtung inklusiver Bildung in Österreich zum Stillstand gekommen ist", ist in dessen abschließenden Bemerkungen nachzulesen. Es würden "ungenügende Anstrengungen gemacht (...), um die inklusive Bildung der Kinder mit Behinderungen zu unterstützen".

"Völlig weltfremd"

Nicht zuletzt deshalb hält es wohl auch Bildungswissenschafter Stefan Hopmann für "sehr unwahrscheinlich", dass die vom Unterrichtsministerium angeführten Pläne, die Sonderschule bis 2020 zur Ausnahme zu machen, halten. Auch für Inklusionsexperte Biewer sind diese Pläne "völlig weltfremd".

Während die Steiermark hier bereits sehr weit sei (rund 85 Prozent der Schüler mit SPF werden dort in Regelschulklassen unterrichtet), würden andere - wie Niederösterreich und Tirol - in diesen Fragen weit hinterherhinken.

"Hohles Versprechen"

Zudem: Zentral für den Erfolg der Umstellung auf ein inklusives Schulsystem sind aus Sicht der Experten, dass alle Lehrer entsprechende Kompetenz in inklusiver Pädagogik haben. Diese sind aber laut Hopmann rar. Und daran ändere auch die neue Lehrerausbildung nichts, bei der zwar inklusive Pädagogik Teil der Studienpläne ist, aber nur als "hohles Versprechen". Es würde neben ausreichend qualifiziertem Personal eine entsprechende Fachdidaktik fehlen. Zudem würden weder Übungen noch Seminare, sondern fast ausschließlich große Vorlesungen angeboten. (APA, riss, 8.8.2014)