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Der Einfluss der bundesdeutschen Sprachvarietät auf die deutsche Sprache in Österreich ist kein neues Phänomen.

Foto: APA/Jens Kalaene

Immer wieder greift man in österreichischen Medien - üblicherweise während des bekannten journalistischen Sommerlochs - das Thema des österreichischen Deutsch auf. Die Meldungen und Kommentare zielen dann meistens darauf ab, der österreichischen Öffentlichkeit zu zeigen, wie ihre nationale Varietät durch das sogenannte bundesdeutsche Deutsch bedroht ist. In Österreich sage man kaum mehr "Paradeiser", aber immer öfter "Tomate", nicht mehr "Erdapfel", sondern "Kartoffel" usw.

Der Einfluss der bundesdeutschen Sprachvarietät auf die deutsche Sprache in Österreich ist jedenfalls kein neues Phänomen. Es wird seit Jahrzehnten in der heimischen Germanistik beschrieben und ist im Grunde genommen die Folge einer ausgeprägten Asymmetrie unter den nationalen Varietäten des Deutschen - mit dem bevölkerungsmäßig zehnmal so großen Deutschland und seiner starken Medien- und Verlagsproduktion kann das kleine Österreich kaum mithalten.

Broschüre zum österreichischen Deutsch

Reaktionen auf diese Prozesse sind unter Fachleuten unterschiedlich: Während die einen auf eine mangelnde Sprachpflege in Österreich hinweisen, ist dies für die anderen eine normale Folge des ohnehin unaufhaltsamen Sprachwandels.

Heuer hat man sich seitens der österreichischen Politik und Medien dieses Themas besonders intensiv angenommen. Das Bildungsministerium publizierte sogar eine Broschüre zum österreichischen Deutsch als Bildungs- und Unterrichtssprache mit Unterrichtsmaterialien für Lehrer und Schüler, in der auf die Gleichberechtigung der österreichischen mit der bundesdeutschen standardsprachlichen Varietät hingewiesen wird. Die Broschüre wird größtenteils gelobt, vereinzelt auch kritisiert. Eine Frage scheint mir dabei berechtigt zu sein: Warum musste das Ministerium bis 2014 warten, um eine solche Broschüre zu publizieren?

Suche nach Mundartpaten

In den letzten Monaten versuchte auch ein Wochenmagazin, das österreichische Deutsch zu "retten", und suchte nach Mundartpaten für bedrohte österreichspezifische Wörter. Dabei hat diese Aktion der ganzen Sache eher einen Bärendienst erwiesen – denn das österreichische Deutsch ist keinesfalls nur eine Mundart (als die unser Sprachgebrauch manchmal in Deutschland oder im Ausland wahrgenommen wird), sondern ein ganzes Bündel an Sprachvarietäten, das vom Dialekt über die Umgangssprache bis hin zur Standardsprache reicht.

Ein Blick in die Nachbarschaft

Für diejenigen, die den angeblichen Verfall des österreichischen Deutsch und seiner Mundarten beklagen, lohnt vielleicht ein Blick in die Nachbarschaft. In unseren Nachbarsprachen in Ost- und Südosteuropa blieben viele Lehnwörter aus dem österreichischen Deutsch erhalten, die zur Zeit der Habsburgermonarchie gang und gäbe waren und mittlerweile in Österreich als veraltet oder ausgestorben gelten. Diese Wörter wurden vor Jahrhunderten ins Tschechische, Polnische, Ungarische, Serbische, Kroatische oder Bosnische übernommen.

Dort verfolgten sie eine eigene Dynamik und wurden oft im Sprachgebrauch so gefestigt, dass sie immer noch die einzige oder zumindest die häufigste Bezeichnung für ein Objekt oder einen Vorgang darstellen. Wenn ein Kroate, Serbe oder Bosnier an Wanderschuhe denkt, fällt ihm als Erstes das Wort "gojzerice" (Goiserer) ein – in Österreich ein eher dialektales, nicht sehr häufig verwendetes Wort. Im Bosnischen, Kroatischen und Serbischen benutzt man sehr oft und häufig das Adjektiv "švorc" (schwarz), um jemanden zu beschreiben, der pleite ist.

Sprachstandardisierung

Vergeblich sucht man in einem deutschen Wörterbuch oder einem Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten nach diesem Wort. Man kann "schwarz" in dieser Bedeutung noch ausschließlich in einem (älteren) Wörterbuch der Wiener Mundart finden. Ähnlich ist es auch mit dem Wort "Esszeug": Kaum jemand in Wien wird dieses Wort noch aktiv verwenden – im Bosnischen, Kroatischen und Serbischen ist "escajg" jedoch immer noch die häufigste umgangssprachliche Bezeichnung für Besteck.

Die meisten deutschen bzw. österreichischen Lehnwörter in ost- und südosteuropäischen Sprachen gehören aber keinesfalls zur Standardsprache. Im Laufe der Sprachstandardisierung wurden viele von ihnen in die Umgangssprache oder in den Slang verdrängt bzw. kamen allmählich außer Gebrauch. Einige erwiesen sich aber im Laufe der Zeit als äußerst stabil – darunter auch manch ein vergessener altösterreichischer Ausdruck, der viele ältere Österreicher noch zum Schmunzeln bringt.

Denn so ist es mit der Sprache – sie ist auch Träger einer gemeinsamen kulturellen Erinnerung, die sich in vielen Fällen dem politischen und gesellschaftlichen Druck entzieht. Die österreichische Sprachidentität ist dementsprechend nicht nur auf das heutige Österreich beschränkt, sie floss auch in andere Sprachidentitäten hinein und prägte sie mit, genauso wie sich im österreichischen Deutsch viele Elemente der tschechischen, ungarischen, italienischen, jiddischen, aber auch bundesdeutschen Sprachidentität wiederfinden können. Fein oder "fajn", nicht wahr? (Nedad Memić, daStandard.at, 11.8.2014)