Chaos in Libyen, Bürgerkrieg in Syrien, Massenhinrichtungen im Irak - der Nahe Osten und Nordafrika dominiert die Schlagzeilen. Doch unbemerkt vom Rest der Welt schwelt seit Monaten ein Konflikt in der algerischen Stadt Ghardaia. Die rund 90.000-Einwohner zählende Stadt ist Heimat von Sunniten wie auch Mozabiten, ethnische Berber ibaditischer Konfession, und seit Monaten Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gruppen. Zwar gab es schon in der Vergangenheit immer wieder Konflikte zwischen Sunniten und der religiös-ethnischen Minderheit, doch die Eskalation seit Ende 2013 ist in ihrer Heftigkeit neu:

Erstmals in der Geschichte der Stadt entsendete Algier Anfang des Jahres Truppen um die Sicherheit im Ort zu gewährleisten. Trotzdem kam es seither weiterhin zu Zusammenstößen und Mordattentaten. Dem Gewaltausbruch sind bisher mindestens zehn Menschen zum Opfer gefallen, hunderte wurden verwundet, tausende Wohnungen, Geschäft und Lokale wurden zerstört oder schwer beschädigt.

Mozabiten

Die Schuld für die Gewalspirale sieht jeder Akteur bei seinem Gegenüber. Im Juli wurden jedoch Vorwürfe laut, die verstärkte Präsenz von Salafisten im Ort wäre der Grund für die Probleme.

Die Mozabiten von Ghardaia sind Ibaditen, einer alten Strömung im Islam, die weder sunnitisch noch schiitisch ist. Neben dem algerischen Mzab findet man sie noch auf der tunesischen Halbinsel Djeerba, in Libyen, Sansibar und dem Oman, wo die Ibaditen in der Mehrheit sind. Für Salafisten sind sie jedoch Häretiker. Doch auch kulturelle, soziale und vor allem ökonomische (Landbesitz) Probleme schwelen in dem Ort seit langem.

Demonstrationen

Berber sind in Marokko eine heikle Angelegenheit: Nach 130-jähriger französischer Kolonialzeit, sah sich das junge, unabhängige Algerien als sozialistischer Einheitsstaat mit einer Identität, die auf dem arabisch-islamsichen Erbe beruht. Viel Platz für die Kultur und Geschichte der Berber blieb da nicht. Die Bevölkerung der Kabylei, wo zwei Drittel aller algerischen Berber leben, war gegenüber diesem Selbstverständnis des jungen Staates besonders negativ eingestellt. Die Arabisierungsprogramme in den öffentlichen Schulen des Landes, Unterstützung aus dem Pariser Exil und ein wachsendes Selbstbewusstsein führten in den 80ern zum ersten "Berber Frühling" in Algerien.

Nach dem "Schwarzen Frühling" 2001, der sich zwar primär gegen Polizeigewalt und den politischen Stillstand richtete, jedoch in der Kabylei seinen Ausgang nahm, anerkannte der algerische Staat Tamazight, eine Berber-Spracher, als Nationalsprache 2002 an. Es folgten Versprechungen für mehr kulturelle Freiheit, die Einführung von Tamazight in der Schule und den Medien.

"Sicherheit, Stabilität und Koexistenz"

Im Rest Algeriens blieb der Konflikt nicht unbemerkt und führte zu Demonstrationen von anderen Mozabiten in Opposition zu Präsident Abdelaziz Bouteflika. Auch unter Berbern in Nordafrika wuchs der Zorn über die Zustände im Ort und das internationale Schweigen über die Gewalt.

Präsident Bouteflika, dessen Regierung lange versuchte den Konflikt runterzuspielen, sah sich gezwungen den Nationalen Sicherheitsrat einzuberufen. Nach außen hin versucht man zu beruhigen: Ghardaia bewege sich Richtung “Sicherheit, Stabilität und Koexistenz”. Ein Slogan der seit dem Ende des Bürgerkriegs zum Mantra der autoritären Führung des Landes geworden ist.

Die vorgeschlagene Lösung ist für das mit Öl- und Gasvorkommen gesegnete Algerien auch typisch: ein millionenschweres Investitionspaket wurde geschürt um die Schäden in der Stadt zu reparieren. (stb, derStandard.at, 9.8.2014)