Salzburg - Schwerlaster schaffen tonnenweise Material herbei, und der Vorarbeiter koordiniert den Einsatz: Das ist die Hochbau-Variante der Bruckner-Interpretation. In der Architektur-Version zeichnet der Dirigent in der Partitur wie auf dem Reißbrett die tragenden Elemente nach und macht die Bauweise sinnfällig.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür bot Bernhard Haitink jüngst mit der Fünften. Nun stand die Neunte am Festspiel-Programm, quasi als Mittelachse oder Höhepunkt des Zyklus "Anton Bruckner. Die neun Symphonien" zum 190. Geburtstag des Komponisten.

Christoph von Dohnányi am Pult des Philharmonia Orchestra näherte sich der Symphonie Nr. 9 d-Moll als Landschaftsmaler: mit jahrzehntelang geschultem Blick für die landschaftlichen Schönheiten und Abgründe und mit dem souveränen Bewusstsein für die Ruhe- und die Gefahrenstellen, die das monumentale Fragment birgt.

Die Bläser des Philharmonia Orchestra versetzten eine gute Stunde lang in Staunen. Vor allem die Hornisten, deren vier im Finale ihre Instrumente gegen Wagner-Tuben tauschten. Die weich und geschmeidig intonierten und doch so tragfähigen Hornchoräle machten verständlich, warum Bruckner mit dem Gedanken gespielt hat, dieses Stück dem lieben Gott zu widmen.

Grandios das wütende Stampfen im Scherzo und das Crescendo hin zur Generalpause im Adagio. Es gab im Detail genug Verführungen zum konzentrierten Zuhören. Dennoch erschöpfte sich diese Wiedergabe eben im Detail. Stifter sagt sinngemäß im Nachsommer: Wenn man in der Gebirgsdarstellung zu sehr ins Detail geht, nimmt man dem Ganzen die Größe.

Eröffnet haben das Philharmonia Orchestra und Christoph von Dohnányi diesen Abend zusammen mit Camilla Tilling. Die schwedische Sopranistin hat - ohne mit etwas anderem als Problemen der Vokalfärbung in Erinnerung zu bleiben - Vier letzte Lieder von Richard Strauss gesungen. (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD, 9./10.8.2014)