Das Coming-out - eine Art Geständnis der eigenen a-normalen Identität - im eigenen Umfeld ist manchmal eine Herausforderung; gerade wenn es sich um jenes Umfeld handelt, dass eine*n am längsten kennt und somit besonders lang eine etwas andere Erwartung hatte.

Angst vor Zurückweisung

In etlichen LGBT-Internetforen beratschlagen sich Leute über Möglichkeiten, die noch unwissende soziale Umgebung über ihre Abweichung von der sexuellen und/oder geschlechtlichen Norm in Kenntnis zu setzen. Die Ängste, die sich hinter dem Bedürfnis nach Ratschlag und Beistand tummeln, reichen von "Ich werde meinen Job verlieren, weil mein Chef homophob ist" über "Meine Freundin wird mich verlassen, wenn ich ihr sage, dass ich trans* bin" bis zu "Ich müsste nach meinem Coming-out in eine andere Stadt ziehen, weil ich hier ernsthaft bedroht werden würde".

Besonders bei jüngeren Leuten bezieht sich die Frage "Wie soll ich es ihnen bloß sagen?" meist auf die eigenen Eltern bzw. das familiäre Umfeld. Nicht wenige von ihnen, so zumindest mein Eindruck, sind dabei bereits in der Schule, auf der Uni oder am Arbeitsplatz "geoutet"; im Freundeskreis sowieso. Nur die Hürde mit der Offenbarung vor den Eltern haben auch viele derjenigen, die bislang gute Erfahrungen mit ihrem Coming-out gemacht haben, noch nicht überwunden. Die Angst, die sie zurückhält, ist keine geringere als die vor deren Enttäuschung und Zurückweisung.

Schuldgefühl auf beiden Seiten

Ein Coming-out hat in seiner Struktur starke Ähnlichkeit mit einer Geständnissituation. Die Rollenverteilung sieht jene Person vor, die etwas einzugestehen hat, und jene Personen, die Zeug*innen des Bekenntnisses und zugleich Richter*innen über das Eingestandene werden. Denn einem Geständnis geht natürlich auch immer eine gewisse Schuld seitens der bekennenden Person voraus. Im Fall eines Coming-outs bekennen wir uns schuldig darüber, dass wir eine Regel verletzt, uns also einer gewissen sozialen Norm nicht unterworfen haben, sondern von ihr abweichen.

Wir outen uns somit wider die allgemeine Erwartung, "normal" zu sein, und enttäuschen diese. Die höchste Erwartung diesbezüglich haben dabei meist die eigenen Eltern an uns - sie trifft somit auch die größte Enttäuschung. Zudem sind sie mit einem besonderen Aspekt unseres Geständnisses konfrontiert: In dem Moment, in dem wir ihnen unsere "Schuld" bekennen, kommt ihnen auch eine gewisse "Schuld" zu. Sie haben uns ja erzogen, sind daran beteiligt, wer und wie wir sind; und irgendwo scheinen sie dabei "gescheitert" zu sein.

Sonst wären wir wohl nicht schwul, lesbisch, trans* oder sonst irgendwie anormal. Wir machen sie somit vor den Augen der Gesellschaft, in der wir nicht normal sind, mitschuldig und somit ebenfalls anklag- und verurteilbar. Doch nicht alle Eltern lassen sich von der möglichen sozialen Ächtung durch andere einschüchtern. Viele fühlen sich, so wirkt es, auch einfach gegenüber dem eigenen Kind und letztlich auch gegenüber sich selbst schuldig, weil dieses nicht "normal geworden" ist und somit nicht das Leben führen wird, das eigentlich für uns alle vorgesehen ist.

Der Sohn, der sich als schwul geoutet hat, wird also nicht eines Tages mit der zukünftigen Schwiegertochter nach Hause kommen, genauso wenig wie die lesbische Tochter einmal ihren künftigen Ehemann vorstellen wird. Und die Eltern von Trans*Personen haben plötzlich eine Tochter, wo früher ein Sohn war, oder umgekehrt. Da stellt sich unter Umständen das Gefühl oder die Angst davor ein, die Tochter bzw. den Sohn zu "verlieren".

Foto: Mike

Immer noch dasselbe Kind – nur glücklicher

Doch nur weil ein Kind nicht den gesellschaftlichen heteronormativen Vorstellungen entspricht, heißt das doch nicht, dass dieses als Mensch "ausgetauscht" wird - und schon gar nicht, dass noch zusätzlich zur Abwertung seiner Identität beigetragen werden sollte. Wenn der Sohn also mit einem Mann glücklich ist, oder die Tochter mit einer Frau oder das Kind sich in einem anderen Geschlecht wohlfühlt, ist das vielleicht nicht das, was der allgemeinen und besonders der elterlichen Erwartung entspricht. Das sollte doch aber nicht die Priorität von Eltern sein, denen etwas am Glück und Wohl ihres Kindes liegt.

In einer Gesellschaft, in der uns sowieso immer wieder mit Homo- und Trans*phobie begegnet wird, wäre es wichtig, zu wissen, dass wir Verbündete haben, die für und nicht gegen uns sind. Denn was ist eigentlich das große "Verbrechen" an der Normabweichung, deren wir uns schuldig machen und die wir eingestehen müssen? Ist nicht vielmehr diese Norm, die dazu führt, dass sich viele aufgrund ihrer Identität schämen müssen, dass sie Angst und Diskriminierung ausgesetzt sind und dass sie immer wieder "Bestrafungen" für diese Abweichung zu befürchten haben, das eigentliche Verbrechen?

Und sollten Eltern nicht vielmehr stolz auf ihre anormalen Kinder sein, die sich trotz alledem nicht nehmen lassen, zu sein, wer sie sind?

Die Erwartung an die Eltern

Meine Eltern hatten ebenfalls und haben teilweise immer noch ihre Schwierigkeiten mit meinem Trans*Sein (noch dazu, weil ich jetzt nicht mal wenigstens hetero bin, also mir nicht zumindest diese Normabweichung spare). Nicht dass sie etwas gegen LGBT-Leute hätten, nur dass es in diesem Fall ihr eigenes Kind betrifft, was laut ihnen einfach etwas ganz anderes ist.

Zunächst erschien mir die Situation ein wenig hoffnungslos – sie würden mich lediglich tolerieren, jedoch nicht akzeptieren, geschweige denn meine neue Identität jemals anerkennen. Aber als meine Mutter sich letztes Mal auf die männliche Form ausgebessert hat, als sie von mir gesprochen hat, und mein Vater mich vor kurzem seinen Sohn genannt hat, musste ich mir selbst etwas ganz anderes eingestehen: dass ich die beiden doch etwas unterschätzt habe und sie somit meine negative Erwartung an sie positiv "ent-täuscht" haben. (Mike, dieStandard.at, 11.8.2014)