Eingelegtes Gemüse in einem russischen Laden in Wien.

Simon Moser

Der russische Laden "Berioska" im 1. Bezirk in Wien.

Simon Moser

Noch laufen die Geschäfte für die Auslands-Russen in Wien gut.

Simon Moser

Wien − Der Borschtsch verkauft sich gut. Im Berioska, einem russischen Spezialitätengeschäft im ersten Wiener Gemeindebezirk, steht eine mit dem traditionellen osteuropäischen Eintopf gefüllte Konservendose neben der anderen. Rote Rüben, Zwiebeln, Kartoffeln, Tomaten, Rindfleisch: Die Zutaten dafür lesen sich wie ein Auszug aus der Liste mit jenen Produkten, die Russland am Donnerstag mit einem einjährigen Einfuhrverbot versehen hat.

Auch unter der Kundschaft des Spezialitätenladens ist der Ukraine-Konflikt mitsamt seinen wirtschaftspolitischen Folgen sehr wohl Thema. Zwischen Regalen voll Kaviar, Krimsekt, geräuchertem Fisch und Eingelegtem jeglicher Art wird auch schon mal über die aktuelle Tagespolitik gesprochen. Spürbare Auswirkungen auf den Alltag der in Wien lebenden russischen Community haben die Sanktionen aber scheinbar nicht. Um die eigenen Geschäfte macht man sich kaum Sorgen, den Ukraine-Konflikt als Ganzes verfolgt man aber naturgemäß mit großer Sorge.

EU als Verlierer

Insgesamt leben laut Medienservicestelle derzeit rund 29.000 Personen mit russischer Staatsbürgerschaft in Österreich. Die Zahl jener, die darüber hinaus ihre familiären Wurzeln in Russland haben, wird von der russischen Botschaft auf etwa 100.000 geschätzt.

Für Boris, der seinen Nachnamen nicht in den Medien lesen will, sind Sanktionen kein Mittel, das den russischen Kurs in der Ukraine beeinflussen könnte. "Die Russen sind es ohnehin gewohnt zu leiden. Ob sie jetzt zwischen 15 oder zehn Käsesorten wählen können, ist ihnen egal.“ Die wirklichen Verlierer seien hingegen die Landwirte in der EU – und die Tourismusbranche. Tatsächlich gab es bei den Nächtigungen aus Russland im ersten Halbjahr 2014 einen drastischen Einbruch zu verzeichnen. Allein im Mai reisten um ein Viertel weniger Russen nach Wien – ein Trend, der auch österreichweit zu beobachten ist.

Die Ablehnung der Sanktionen teilt auch Anja, eine in Wien lebende russische Studentin. In ihrem Umfeld werden die aktuellen Ereignisse immer wieder diskutiert. Auch wenn ein Großteil der russischen Bevölkerung in der Vergangenheit weit schlimmere Erfahrungen gemacht habe, würden viele Menschen weitere Sanktionen fürchten, vermutet sie. "Angst haben vor allem jene, deren Lebensgrundlage der Import europäischer Produkte bildet. Deshalb können die Gegensanktionen auch zu großen Problemen für die russische Wirtschaft führen“, meint die 24-Jährige aus Moskau.

Geschäfte laufen noch

Andere Auslandsrussen beschäftigen sich auf den ersten Blick gar nicht mit der Thematik. In ihrem Umfeld diskutiere niemand über den Bürgerkrieg in der Ukraine oder die Wirtschaftsfehde zwischen Putins Regierung und dem Westen, meint die Besitzerin eines anderen Wiener Russland-Ladens. "Mein Mann hat aber gesagt, dass wir vielleicht bald zusperren müssen, wenn wir nicht mehr alle Waren bekommen“. Eine ebenfalls aus Russland stammende Kundin beruhigt: Noch sei es zu früh, um sagen zu können, ob der Konflikt für die in Wien lebenden Russen überhaupt negative Auswirkungen bringen werde.

Dieser Meinung ist auch Michel Gordon-Golitsyn, Vorstand des Kulturvereins Art pro&contra. Die in Österreich engagierten Klein- und Mittelbetriebe russischstämmiger Migranten seien durch die aktuellen Ereignisse nicht betroffen. Zu spüren sei jedoch, dass der von jeher enge Kontakt zwischen russischer und ukrainischer Community in Wien merklich abgeflaut ist. In nächster Zukunft werden Ukrainer und Russen ihren Borschtsch deshalb wohl eher selten gemeinsam essen. (Simon Moser, Judith Moser, derStandard.at, 8.8.2014)