Wien - Darf man eigentlich bei einer Trauerfeier applaudieren, tut man das bei einem Staatsakt? Eigentlich wohl nicht - aber als die Publizistin Barbara Coudenhove-Kalergi mit Tränen in den Augen über Barbara Prammer sagt: "Ich glaube, sie wäre eine gute Bundespräsidentin geworden", können hunderte der vor dem Parlament versammelten Trauergäste nicht anders. Sie müssen irgendwie ihre Zustimmung bekunden. Klatschen. Und zeigen, dass das nicht irgendein Staatsakt, nicht irgendeine Trauerfeier ist.

Es ist der Abschied von einer Politikerin, die zu Lebzeiten nur wenige als "groß" bezeichnet hätten. Der Bundespräsident erinnert in seinen sehr persönlichen Schlussworten daran, "wie sehr sich Barbara auch nur über einen kleinen Teil des Lobes noch zu Lebzeiten gefreut hätte" - und fordert auf, eine Lehre zu ziehen. Nicht nur in den Nachrufen sollte man den Menschen mit Respekt und Anerkennung begegnen, "entwickeln wir mehr Sensibilität im Umgang mit den Menschen", sagt Heinz Fischer. Auch er bekommt Applaus.

Würdevoll leise ist es während der Feier auf dem Dr.-Karl-Renner-Ring vor dem Parlament, wo der Sarg der eine Woche zuvor verstorbenen Nationalratspräsidentin aufgebahrt ist - nicht nur bei den 600 Ehrengästen, die unmittelbar vor der Parlamentsrampe Sitzplätze haben, sondern auch weiter hinten, wo beim Volksgarten das einfache Volk steht, sieht man feuchte Augen. Der Verkehr steht still, die Republik hält inne.

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Der Sarg wird aus dem Parlament getragen.
Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Natürlich wird da zurückgeschaut. Werden Nachrufe verlesen. Wird Beileid bekundet. Aber da ist auch der Jazzmusiker Harri Stojka, der mit seiner Band nicht nur die internationale Roma-Hymne intoniert, sondern anschließend auch "Lasi Raci" ("Schöne Nacht"), ein ungarisches Roma-Traditional, spielt. Und da ist Timna Brauer, die "Sei Jona" ("Flieg Taube") singt. Das klingt nach Lebensfreude. Vielleicht ein bisserl nach Überwindung des Todes. Das hat vor den Musikern schon Karlheinz Kopf angedeutet, ein christlicher Politiker, der dann doch zu einem Brecht-Zitat greift: "Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt."

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Auf der gesperrten Ringstraße nahmen 2.000 Trauergäste Abschied.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Der Zweite Nationalratspräsident, der Prammer bereits in den letzten Sitzungen des Nationalrats vor der Sommerpause zu vertreten hatte, verneigt sich vor dem Menschen Prammer, lobt die Parlamentarierin als "Kämpferin für den Stellenwert des Parlaments" und als Gründerin der Demokratiewerkstatt, die jungen Menschen den Parlamentarismus näherbringen soll.

Dass Prammer die Demokratie mit Leben erfüllt hat, ist auch die Botschaft von Bundesratspräsidentin Ana Blatnik - und sie macht sehr konkret, was das bedeutet: den Bausteinen, auf denen unser Leben fußt, ein Gesicht zu geben. Und zwar genau jenen Benachteiligten, den Minderheiten, den Schwachen; und nicht zuletzt den Frauen, deren Vorsitzende in der SPÖ Prammer lange Jahre war.

Weiter so. Sagt ihre Nachfolgerin in dieser Funktion, SPÖ-Frauenchefin und Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Sie lobt in Prammer die Politikerin, die das Gewaltschutzgesetz für Frauen durchgesetzt hat, die sich gegen Genitalverstümmelung eingesetzt hat, die überall eine gute Zuhörerin war - auch wenn jemand anderer Meinung war -, aber als Antifaschistin klare Grenzen gezogen hat.

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Barbara Coudenhove-Kalergi bei ihrer Abschiedsrede.
Foto: APA/Pfarrhofer

Es ist auch eine Lehrstunde in Sachen Demokratie, nicht nur für die mehr als 2.000 Trauergäste, sondern auch für die Fernsehzuschauer, die Bundeskanzler Werner Faymann hören, der davon spricht, dass die Demokratie Leitfiguren wie Barbara Prammer braucht. Dass es Menschen geben muss, die eine Vorstellung vom guten und richtigen Zusammenleben der Gesellschaft haben. Und die bereit sind, diese Vorstellung anderen zu vermitteln.

Dazu, sagt Coudenhove-Kalergi, müsse man sich zur Ideologie bekennen, auch wenn das ein derzeit ziemlich negativ besetzter Begriff ist. Dazu, sagt sie, müsse man sich auch zu den Parteien bekennen, denn "ohne Parteien gibt es keine Demokratie". Und vor allem bedürfe es der Erfahrung, "dass man Politikerin oder Politiker sein kann, ohne sich zu verbiegen". (Conrad Seidl, derStandard.at, 9.8.2014)