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Obamas Botschaft an Bagdad und die kurdische Regionalregierung ist klar: Es muss eine neue irakische Regierung auf breiter Basis geben.

Foto: REUTERS/Larry Downing

Nichts illustriert die Entwicklungen der letzten Monate im Nahen Osten besser als die Erinnerung daran, dass genau vor einem Jahr US-Präsident Barack Obama vor der Entscheidung stand, ob er mit Luftangriffen gegen das syrische Regime in den Konflikt in Syrien eingreifen soll. Er entschied sich dagegen. Heute lässt er im Irak einen Gegner des syrischen Regimes bombardieren, den Islamischen Staat (IS), der auch syrisches Territorium kontrolliert.

Die syrische Opposition, die vor einem Jahr vergeblich auf die Militärschläge wartete, kann sich nur damit trösten, dass es mit der IS eine Rebellengruppe trifft, die aus ideologischen Gründen ein Outcast und trotzdem der stärkste Konkurrent auf dem vielfältigen Markt der syrischen Rebellenszene ist. Allerdings ist die Gegnerschaft anderer islamistischer oder jihadistischer Gruppen – wie etwa der Nusra-Front – angesichts der militärischen Erfolge der IS nicht größer, sondern eher geringer geworden. Erfolg zieht eben an, viele Kämpfer wollen dort mittun, wo es die besten Waffen und die größte Beute gibt, und das ist eindeutig bei der IS. Die syrische Opposition befürchtet auch, dass wenn der IS nun im Irak Einhalt geboten wird, sie wieder mehr Kräfte auf ihre Offensive in Syrien konzentrieren könnte. In den vergangenen Wochen hat sie auch dort militärische Erfolge zu verzeichnen, so eroberte sie zuletzt eine Militärbasis der syrischen Armee bei Raqqa.

Aber das ist nicht das größte Dilemma Obamas, wenn er in dieses Wespennest sticht. Aus seinen Erklärungen nach dem Start der Luftschläge am Freitag lassen sich die Befürchtungen gut ablesen. Nicht umsonst sagte Obama, dass eine militärische Hilfe auf längere Zeit nur in Frage käme, wenn es in Bagdad eine neue Regierung auf breiter Basis geben werde. Das ist eine Botschaft mit zwei Adressanten: den amtierenden Premier Nuri al-Maliki und die Kurdische Regionalregierung in Erbil.

Maliki muss gehen

Zuerst Bagdad: Die verfassungsmäßige Frist für die Designierung eines Premiers durch den neuen irakischen Präsidenten Fuad Massum läuft am Sonntag (10. August) aus. Es hat in den vergangenen Tagen Anzeichen gegeben, dass Maliki, den auch Teheran – das heißt hier ziehen USA und Iran an einem Strang – fallen gelassen hat, dem Druck nachgibt und sich zurückzieht. Dann wieder scheint er völlig uneinsichtig. Aber es ist für den Irak überlebenswichtig, eine Person für das Amt des Regierungschefs zu finden, die nicht nur für die Schiiten, sondern auch für die Sunniten und die Kurden akzeptabel ist.

Wenn Maliki nicht geht – und das ist bei seiner Persönlichkeitsstruktur durchaus möglich –, dann wird es ein politisches Vakuum geben: eine Katastrophe in dieser Situation (so wie auch übrigens der Libanon, der in der vergangenen Woche schwere Kämpfe mit Beteiligung der IS gesehen hat, dringend einen Präsidenten braucht). Obama hat also indirekt gesagt: Die US-Militärhilfe hängt daran, dass es keine dritte Amtszeit Malikis gibt.

Kurdistan soll beim Irak bleiben

Die Botschaft an Erbil, die in der Forderung nach einer „inklusiven“ Regierung enthalten ist, ist ebenfalls klar: Die US-Hilfe gilt einem Kurdistan in einem irakischen Kontext, nicht einem Kurdistan auf dem Weg in die Unabhängigkeit. Von den Kurden wird erwartet – und sie zeigen dazu ja auch Bereitschaft –, dass sie, wenn Maliki den Weg frei macht, konstruktiv in einer irakischen Regierung mitarbeiten. Der neue irakische Staatspräsident, der Kurde Fuad Massum, ist insofern ein Geschenk: einer, der mit allen Gruppen reden kann, und der auch sehr gute Beziehungen in den Iran hat, was Teheran die Einsicht, auf Maliki verzichten zu können, gewiss erleichtert hat.

Diese Haltung Washingtons zu „Kurdistan“ ist nicht neu, hat jedoch eine neue Dringlichkeit, seitdem die kurdische Regierung in Erbil im Juni ihre Peshmerga und ihre Behörden in zwischen Kurden und Arabern umstrittene Gebiete geschickt hat, aus denen die irakische Armee vor dem IS-Vormarsch geflohen ist. Für diese Gebiete – auch die Stadt Kirkuk und ihre ölreiche Umgebung gehört dazu – war ein Referendum vorgesehen, zu dem es nie gekommen ist.

Jetzt sind die Kurden dort – und sie werden bleiben. Die USA laufen Gefahr, dass der Eindruck entsteht, dass sie die Kurdengebiete nicht nur vor der IS verteidigen, sondern auch die kurdische Präsenz in den umstrittenen Gebieten zuungunsten Bagdads zementieren helfen. Vor allem ist ja noch gar nicht absehbar, was da noch alles kommt: Die nach dem Ersten Weltkrieg etablierte Ordnung in der Region ist am Zusammenbrechen, die syrisch-irakische Grenze ist ja teilweise schon verschwunden, was, wenn etwa die Türkei alte Ansprüche – Stichwort Mossul – erhebt und sich mit den Kurden diesbezüglich einigt.

All das musste Obama beiseite wischen um einzugreifen, erstens angesichts der humanitären Katastrophe eines Ausmaßes, das selbst in dieser Region, die viel mitgemacht hat, nicht seinesgleichen kennt, und zweitens der realen Gefahr, dass die Peshmerga dem Sturm der IS nicht standhalten können. Für die kurdischen Peshmerga ist es vor allem ein quantitatives Problem, die Linie, auf der die IS punktuell durchzubrechen beginnt, ist einfach zu lang. Unter den sunnitischen Koalitionären der IS, ohne die sie den Vormarsch im Irak nicht in diesem Ausmaß geschafft hätte, gibt es auch Stimmen gegen eine Bedrängung der Kurden. Izzat Ibrahim al-Duri, der Vizepräsident Saddam Hussein, der eine altbaathistische Truppe um sich geschart hat, spricht sich auf deren Webpage dafür aus, die Kurden in Ruhe zu lassen. Das dürfte zwei Gründe haben: Erstens soll sich Duri nach dem Sturz des Regimes 2003 bei Kurden versteckt haben, zweitens weiß der Altbaathist wohl, dass, wenn die Sunniten so etwas wie einen Staat in dem Gebiet gründen wollen, sie eine relativ ruhige Grenze mit den Kurden – deren Willen Saddam Hussein mit den schlimmsten Mitteln nicht brechen konnte – brauchen werden. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 09.08.2014)