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Premier Erdogan gewann die Wahl in der ersten Runde.

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Herausforderer Ekmeleddin Ihsanoglu beklagte noch vor Wahlschluss den "unfairen Wahlkampf" Erdogans

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Knapp eine Stunde nach Schließung der Wahllokale war die Hoffnung der Opposition zerplatzt: Tayyip Erdogan, der seit elf Jahren regierende Premier der Türkei, muss sich keiner Stichwahl stellen. Sein Sieg noch in der ersten Runde bei dieser ersten direkten Wahl eines Staatspräsidenten war nach Auszählung fast aller Stimmen klar.

Mittlerweile steht fest, dass er mit 51,96 Prozent gewonnen hat, wie die nationale Wahlkommission nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi mitteilte.

Der neu gewählte Präsident sprach in der Nacht zu Tausenden von Anhängern vom Balkon des AKP-Parteigebäude in Ankara. Auch jene, die nicht für ihn gestimmt hätten, seien Gewinner, erklärte Erdogan und schloss in seiner Aufzählung ebenfalls die Städte des ehemaligen Osmanischen Reichs auf dem Balkan und in Nahost ein. Erdogan versprach ohne nähere Erläuterungen einen neuen "gesellschaftlichen Konsens". Alle, die ihm unterstellten, diktatorische Absichten zu haben, sollten die Aufrichtigkeit ihrer Behauptung untersuchen, empfahl Erdogan. Er gewann mit 52 Prozent.

TV-Kommentatoren waren auch schnell mit Kritik zur Stelle. Das Ergebnis sei ein Debakel für die beiden größten Oppositionsparteien, sagte Rusen Çakir, ein langjähriger Beobachter der türkischen Politik. Denn die Sozialdemokraten der CHP und die Rechtsnationalisten der MHP hatten einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt. Der holte landesweit nur um die 38 Prozent. Ekmeleddin Ihsanoglu, der 71-jährige frühere Generalsekretär der Organisation für Islamische Kooperation, brachte offenbar nicht die Wähler beider Parteien hinter sich. Die Opposition könne dieses Mal nicht mehr die Regierung für das Ergebnis verantwortlich machen, meinte Çakir.

Geholfen hat Erdogan auch der Absturz bei der Wahlbeteiligung: Statt der zuletzt 89 Prozent bei den Kommunalwahlen im vergangenen März gingen am Sonntag nur um die 67 Prozent wählen. Ein Teil der CHP-Wähler, der sich nicht mit der Kandidatur des konservativ-frommen Ihsanoglu anfreunden konnte, blieb wohl zu Hause oder war im Urlaub.

"Keiner ist gut"

Doch weil Erdogan von Beginn an als Favorit feststand, gab es nicht viel Enthusiasmus an diesem Sonntag. "Keiner der beiden ist gut", sagt ein älterer Türke in einem Café in Üsküdar, wo Karten gespielt wird, und wischt mit seinen beiden Händen Tayyip Erdogan und Ekmeleddin Ihsanoglu weg, als wären die Anwärter auf das höchste Amt im Staat nur lästige Fliegen. Den dritten Kandidaten, den Kurden Selahattin Demirtas, erwähnt er erst gar nicht; doch dieser bekam über neun Prozent.

Erdogan gab am Nachmittag im selben Stadtteil in einem Wahllokal seine Stimme ab. Es sei ein ruhiger, aber aufregender Wahlkampf gewesen, sagte der Regierungschef in einem Satz.

Sein Herausforderer, der stets höfliche Ihsanoglu, verbarg nicht länger seine Verbitterung. "Der Wahlkampf ist unter ungerechten, unausgewogenen Bedingungen geführt worden", beklagte sich der Professor. Strafanzeigen würden eingereicht, kündigte Ihsanoglu an. Es war noch nicht Mittag an diesem Wahlsonntag, doch im Internet zirkulierten angeblich bereits Fotos von Stimmzetteln, die Erdogan-Wähler in der Kabine mit dem Mobiltelefon aufgenommen hatten. Für jede Stimme gibt es Geld von der Regierungspartei, behauptete die Opposition.

Überhaupt die Finanzen: Erstmals hat es bei diesen Wahlen eine Regelung für die Spenden gegeben. Umgerechnet maximal 3143 Euro durfte eine Person einem Kandidaten zukommen lassen. Erdogan erhielt - wenig überraschend - das meiste Geld. Aber die Dimensionen zeigten schon, welchen Sog die Macht auf die Türken hat und wie groß das Bedürfnis ist, sich gut mit ihr zu stellen: Offiziell 19 Millionen Euro sind für den Premier, der Staatspräsident werden will, gespendet worden. Siebenmal weniger für Ihsanoglu, 50-mal weniger für Demirtas, den charismatischen Kurdenpolitiker; er sammelte 420.000 Euro, um seinen Wahlkampf zu finanzieren.

Überall Feinde

"Was willst du? Wir haben keine Freunde, aber überall Krieg. Erdogan ist der Einzige, der die Türkei da hindurchführen kann", bürstet ein Händler auf dem Hauptplatz in Üsküdar Fragen nach dieser Wahl ab. Der Krieg in Syrien, im Irak und in Gaza belastet die Menschen. Das Misstrauen gegenüber Reportern, die Idee von den dunklen Kräften im Westen, die nur nach dem Niedergang des Landes trachten, hat die Regierung dafür den Türken in den letzten Jahren mit Erfolg eingeimpft.

Eine Mischung aus Gleichmut und Zweifel scheint nun in der Türkei zu herrschen. "Er will es ja unbedingt werden. Ich wäre auch zufrieden gewesen, wenn Gül weitergemacht hätte", sagte einer der Spieler im Café in Üsküdar an der Tibbiye-Straße, die hinunter zum Hafen von Kadiköy, auf der asiatischen Seite von Istanbul, führt.

Moderater Gül

Sieben Jahre war nun Abdullah Gül Staatschef der Türkei und hat mit seinem moderaten Temperament auf den oft unbeherrschten Erdogan einzuwirken versucht. Doch auch in diesem Präsidentenwahlkampf polarisierte Erdogan, der nun weitere fünf oder zehn Jahre regieren wird. Auf Ihsanoglus Geburtsort Kairo spielte er ebenso an wie auf Demirtas' ethnische Zugehörigkeit; die Korruptionsaffäre ließ Erdogan hinter sich. Ironisch titelte ein Oppositionsblatt: "Kiliçdaroglu ist Alevi, Ihsanoglu ist Ägypter, Demirtas ist Zaza, und du bist ein Dieb." (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD/red, 11.8.2014)