Sehr geehrter Herr Kollege Gruber, Ihr Beitrag im Standard steht ganz und gar nicht in Einklang mit dem, was die Sprachwissenschaft hinsichtlich des kindlichen Spracherwerbs von mehrsprachigen Kindern erarbeitet hat.

Es ist unsinnig, wenn Eltern, die die deutsche Sprache selbst nicht beherrschen, diese unter Vernachlässigung der Familiensprache mit den Kindern "üben". Eine gefestigte und geschätzte Familiensprache ist die Grundlage für eine erfolgreiche Zwei- und Mehrsprachigkeit. Besonders erfolgreich sind Kinder, die Zwei- oder Mehrsprachigkeit bereits im Kindergarten und dann systematisch in der Schule erfahren - zweisprachige Alphabetisierung eingeschlossen.

Ihren Aussagen liegt die Meinung zugrunde, Einsprachigkeit sei der erfolgreiche Weg für Kinder. In der Konsequenz würde dies bedeuten, die von Haus aus mehrsprachigen Kinder erst einmal auf Einsprachigkeit zu reduzieren, den deutschsprachigen Kindern die Mehrsprachigkeit erst einmal vorzuenthalten und dann allenfalls später einigen Kindern Zugang zu Mehrsprachigkeit zu verschaffen: Ich nenne das eine "Elitemehrsprachigkeit", die weit von Bildungsgerechtigkeit entfernt ist und den Migrantenkindern nicht erlaubt, das sprachliche Kapital, welches sie mitbringen, nämlich ihre Mehrsprachigkeit, für die Bildungskarriere zu nutzen. Weltweit finden sich viele Beispiele einer solchen Förderung der Zwei- oder Mehrsprachigkeit von Anfang an - dass Sie und die OECD eher ein monolinguales Anpassungsmodell predigen, ist ein trauriges Verdrängen erfolgreicher mehrsprachiger Alternativen. (Hans-Jürgen Krumm, DER STANDARD, 11.8.2014)