Es tanzt ein Kraftpaket: Florentina Holzinger landet als rekonvaleszente Heldin,...

Foto: Archeno

... David Wampach ringt nach Luft. Sein respiratorisches Solo "Tour" wirkt etwas verschnarcht.

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Helmut Ploebst

Wien - Jungsein kann zum Fluch werden. Und das nicht nur für einzelne Personen wie Henia und Karol, die beiden 16-jährigen Figuren in Witold Gombrowicz' Roman Pornografie. Denn mit den Bedürfnissen und Reizen der Jugend spielen ganze Industrien, die ihre Klientel in Scheinwelten locken, und ideologische Seelenfänger, die mit der Rekrutierbarkeit ihres Zielpublikums spekulieren.

Auf das dahinterliegende, zynische Prinzip von Macht, Blendung und Erotik weist die aus Frankreich stammende österreichische Choreografin Anne Juren in ihrem Stück Pornography. A Trying-Out hin, das gerade bei Impulstanz im Odeon uraufgeführt worden ist.

Gombrowicz' Buch - 1960, am Beginn des Nachkriegsjugendkults, erschienen - dient Juren als Grundlage für diese Arbeit. In der 1943 spielenden Handlung hat der im argentinischen Exil lebende polnische Autor dieses Macht-Blendung-Erotik-Prinzip hinter einem lüsternen Ränkespiel zweier älterer Herren mit Henia und Karol versteckt.

Juren greift es zusammen mit der Tänzerin Elizabeth Ward auf und konstruiert daraus eine raffinierte Groteske. Darin zielen zwei Frauen auf sinistre Stimmungen, die in unsere pornografiegesättigte Gegenwart führen: auf den ständig geschürten Reiz, die permanente Verlockung und das Wechselspiel zwischen Täter und Opfer. Letzteres stellte auch Marquis de Sade, etwa in Die 120 Tage von Sodom, dar. Allerdings in all der Explizitheit, die Gombrowicz bewusst vermieden hat.

Juren übersetzt den ersten Teil von dessen Pornografie in eine aus Tanz, Musik, Live-Hörspiel, Installation und Lesetheater zusammengesetzte Performance, in die der weibliche Körper als poetisch-aufklärerisches Medium gesetzt ist. Der erste Versuch macht jedenfalls neugierig auf die geplante Fortsetzung.

Das Medium des weiblichen Körpers steht auch im Zentrum einer weiteren Uraufführung bei Impulstanz. Mit Agon stellt die Wiener Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger sich als junge Frau vor, die zur Wettkämpferin ausgebildet wird. Mit von der Partie sind fünf weitere Performerinnen. Eine davon ist die Mixed-Martial-Arts-Sportlerin Marija Malenica, eine andere die Ballerina Lenneke Vos. Das Stück ist eine Anspielung auf George Balanchines Ballett Agon aus dem Jahr 1957 zur Musik von Igor Strawinsky.

Im Geist der Samurai

Der griechische Begriff "Agon" bezeichnet einen Wettstreit, wobei hier sowohl der Sport als auch die Künste gemeint sind. Ein typischer musischer Agon von heute ist der Eurovision Song Contest. Holzingers Agon kommt als ein auf geil gestylter Pop-Performance-Schrott daher. Zu den schönsten Momenten gehört der Sturz eines Scheinwerfers auf die Bühne. Damit verbindet Holzinger, möglicherweise bewusst, ihren Bühnenunfall im Vorjahr - sie ist während einer Aufführung kopfüber einige Meter tief abgestürzt - mit der berühmten Szene aus Peter Weirs Film The Truman Show.

Zu Pop-Kleschern wie Running through my head von t.A.T.u. oder Michael Jacksons Give it to me tritt Holzinger als widersprüchliche Heldin auf. Sie tritt gegen Malenica im Ring an. Als diese den Kampf zu gewinnen droht, wird sie von Holzingers Betreuerin erschossen.

Von da an leidet die Heldin an Gedächtnisstörungen. Sie muss eine vor Popweisheiten strotzende Ansprache vom Blatt ablesen. Aus ihrer Agonie wird sie schließlich von Ballerina Vos als Verkörperung der Tanzmuse Terpsichore gerettet. Das ist rührend.

Dagegen setzt die kämpferische Figur in Akemi Takeyas Solo Little Stories about S.O.S. den "Spirit Of Samurai". Sie beharrt mit dem Messer im Bauch auf einem "I will never give up". Das ist eine von 32 kurzen Szenen ihrer Uraufführung im Schauspielhaus. Mit diesen Szenen listet die vor mehr als 20 Jahren aus Japan nach Wien immigrierte Performerin auf, was passiert, wenn sie zwei Körper in sich verbindet: einen materiellen und einen respiratorischen, das Fleisch und den Atem.

Anders als Holzingers naive Kämpferin ist Takeyas Heldin eine hochintelligente Fiktionautin auf ihrer strapaziösen Expedition durch die Welt der Zeichen. Grafische Symbole leiten jede Szene ein, gestische Zeichen und Texte tragen die Abenteurerin durch Stationen wie "State Of Solitude", "Sign Of Superiority" oder "Styles Of Spectacle".

Ganz als hätte er das Letztere von Takeya ausgeborgt, versuchte der Franzose David Wampach ebenfalls, aus dem Tanz des Fleisches mit dem Atem eine Performance zu basteln.

Weil er aber für sein Solo Tour einen viel zu simplen Spektakelstil gewählt hat, versackte sein Programm in Schnarchen und Grunzen, Lustjodeln und Geistergeheul. Ziemlich billig. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 11.8.2014)