Die New Yorker New-Yiddish-Rep-Kompagnie gab "Vartn af Godot": David Mandelbaum (links) und Shane Baker.

Foto: Cordula Treml

Enniskillen? Wer hat von dieser idyllischen Kleinstadt in Nordirland schon je gehört? Es gehört also sehr viel Mut dazu, hier in der tiefsten Provinz, umgeben von auf sattgrünen Wiesen weidenden glücklichen Kühen, ein internationalen Ansprüchen genügendes interdisziplinäres Festival zu veranstalten, das einem der berühmtesten, allerdings wohl kaum dem populärsten irischen Autor gewidmet ist: Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett.

Anknüpfungspunkt ist die Tatsache, dass der junge Sam hierher vier Jahre lang ins protestantische Eliteinternat Royal Portora geschickt wurde. Allein der Besuch dieser altehrwürdigen Institution lohnt die Reise in den nordwestlichsten Zipfel der grünen Insel.

Denn sobald man den penetranten Terpentingeruch in diesem grauen und grauenerregenden Gebäude, dieser geschlossenen Anstalt, diesem Guantánamo-Gymnasium eingeatmet hat, versteht man nur zu gut, warum Beckett vorzog, den Rest seines Lebens in Frankreich zu verbringen.

Nicht ganz so aufschlussreich war die hier stattfindende Aufführung seines "greatest hit" Warten auf Godot auf Jiddisch (Vartn af Godot) durch die New Yorker New- Yiddish-Rep-Kompagnie: Ja, es gibt diese Textstellen ("Woher kommen alle diese Leichen her? All diese Skelette?" ), und ja, Samuel Beckett war ein aktives Mitglied der Résistance. Das reicht aber wirklich nicht aus, um Wladimir und Estragon als Holocaust-Überlebende zu deuten. Ein Glück in diesem Fall, dass die Beckett-Erben zumindest die Verwendung von Häftlingskleidung untersagt haben. Ein Glück allerdings auch, dieser wunderbaren, zu Unrecht in Verruf geratenen Sprache zuzuhören.

Brandauer als "Krapp"

Ästhetisch anspruchsvoller war da ohne Zweifel Peter Steins Inszenierung von Krapp's Last Tape mit und für Klaus Maria Brandauer (anlässlich dessen 70. Geburtstags bereits am Burgtheater zu sehen). Auch das nordirische Publikum zeigte sich äußerst angetan von der Präzision, der Intensität und Quasiselbstverleugnung des großen - und hinter der clownesken Maske sowie der künstlichen Altersstimme kaum wiederzuerkennenden - Schauspielers. Zuschauer wie Experten sprachen vom besten Krapp, den sie je gesehen hatten, was der Produktion auch sofort eine weitere Einladung nach Australien eintrug.

Zu den unbekanntesten und somit auch am wenigstens gespielten Beckett-Stücken gehört Catastrophe. Aufgrund der Widmung an Václav Havel geriet diese maximal 15 Minuten dauernde Petitesse fälschlicherweise in den Ruf eines "politischen" Statements. In Wahrheit handelt es sich eher um einen gespielten Theaterinsiderwitz. Dieser wurde hier aber überraschenderweise von einem irischen TV-Kommissar in einer aufgelassenen Methodistenkirche auf tadellose, unanfechtbare Weise umgesetzt.

Das Festival widmet sich aber nicht allein Beckett'schen Werken, sondern auch Becketts Einflüssen und Vorlieben. So gab es eine Schiene für seinen Lieblingskomponisten Schubert und eine für seinen (dann von ihm überwundenen) Mentor James Joyce.

Im genialen William-Blake-Pub fand eine Marathonlesung des unlesbarsten aller Romane, Finnegans Wake, statt und in den Marble Arch Caves eine Performance/Installation von John Cages Roaratorio, das auf einem Kapitel dieses Monsteropus basiert:

Die von einem unterirdischen Fluss durchzogenen Tropfsteinhöhlen sind in ihrer Formen- und Farbenvielfalt an sich schon von überirdischer Schönheit. Aber in ihnen zu Cages Klangcollage wandeln zu können und an ausgewählten Stationen dazu Exzerpte von Merce Cunninghams abstrakt-minimalistischen Dekonstruktionen irischer Volkstänze zu sehen - das verleiht dem ganzen Naturwunder noch einmal eine andere Dimension. (Robert Quitta, DER STANDARD, 12.8.2014)