In Einführungsvorlesungen im Fach Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg frage ich meine Studierenden immer nach ihrem Zeitungskonsum. Die Zeitungsleser sind deutlich in der Minderheit. Manche lesen die SN. Die Salzburger Volkszeitung (SVZ) liest niemand. Einmal hat ein Student gesagt, sein Papa würde die SVZ gelegentlich lesen.
Dieser unsystematische Befund spricht gegen die Studierenden, die kaum noch Zeitungen lesen. Und er spricht gegen Kleinzeitungen, die nicht gelesen werden. Letzte Woche hat der Geschäftsführer der SVZ seinen Anwälten mitgeteilt, ein Insolvenzantrag sei einzubringen. Und der Öffentlichkeit teilte er reichlich geschmacklos mit, hier sei ein Provinzverlag "hingerichtet" worden. Wirklich ein barbarischer Akt? Ein großer Verlust? Ein Fanal medienpolitischen Versagens?
Die Fakten: Die SVZ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Katholischen Presseverein, später von der Salzburger Volkspartei herausgegeben. Nach einer Wahlniederlage 2004 zum Sparen gezwungen, hungerte die Landespartei die SVZ redaktionell aus und verkaufte sie im März 2005 an den VP-nahen Unternehmer Martin Aistleitner.
Wie viele Menschen die SVZ lesen, weiß so genau niemand, denn weder Reichweite noch Auflage werden unabhängig geprüft. Die SVZ ließ sich schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in die Bücher schauen. Schätzungen gehen von einer Auflage von deutlich unter 10.000 Stück aus.
Weniger als ein Dutzend Journalistinnen und Journalisten waren zuletzt bei der SVZ angestellt. Der redaktionelle Anspruch musste der Kleinheit der Mannschaft angepasst werden. Wie kann eine derart kleine Tageszeitung wirtschaftlich überleben, neben zwei marktdominanten Zeitungen, die sich ein episches Duell um die Marktführerschaft in Salzburg liefern, der Kronen Zeitung und den SN?
Indem die Zeitung so gehübscht wird, dass sie Kriterien der Presseförderung entspricht. In den vergangenen drei Jahren (2011- 2013) hat die SVZ aus den Titeln der Vertriebs- und der Besonderen Vielfaltsförderung 2,74 Mio. Euro erhalten. Und damit überlebt.
In einer schlecht argumentierten und wenig transparenten Aktion wurden 2014 die Vergabekriterien für die Presseförderung so verändert, dass Zeitungen mit weniger als zwölf fest angestellten Redakteuren ihren Förderungsanspruch verwirken. Und voilà: Umgefallen um die Förderung schlittert die SVZ in die Insolvenz.
Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive hält sich die Wehmut in engen Grenzen. Ja, jede Zeitung weniger ist ein Verlust an Vielfalt. Ja, jeder verlorene journalistische Arbeitsplatz schwächt die Branche. Ja, auch leise Stimmen sind für den öffentlichen Diskurs wichtig. Aber muss jede dieser leisen Stimmen jedes Jahr mit bis zu einer Millionen Euro unterstützt werden? Haben nicht manche Blogger mehr Follower als die SVZ gedruckte Exemplare? Stellen nicht auch Kleinformen im Internet Öffentlichkeiten und Gegenöffentlichkeiten her, die unsere Selbstverständigung anregen und bereichern?
Tageszeitungen sind bis heute Leitmedien. Sie liefern den Stoff für Facebook- und Twitter-Debatten. Sie sind dauerhaft und nicht flüchtig. Sie bilden immer noch das Rückgrat der öffentlichen Debatte. Das ist uns als Zivilgesellschaft viel wert. Und sollte uns viel mehr wert sein als die kaum zehn Millionen Steuereuro, die jährlich unter dem Titel der Presseförderung vergeben werden. Aber die Zivilgesellschaft fordert auch eine Gegenleistung: Recherche, aufpassen auf das Handeln der Mächtigen, aufdecken von Korruption und Versagen, den leisen Anliegen eine Stimme verleihen, das öffentliche Gespräch mit relevanten Themen am Laufen halten. Das gelingt Tageszeitungen dann gut, wenn sie über Geld und Personal verfügen und wenn sie sich nicht nach Wünschen von Werbekunden und Politik richten müssen. Mit weniger als zwölf Redakteuren ist das schlechterdings nicht zu leisten. Das Geschäftsmodell SVZ war ökonomisch nie tragfähig, weder als Parteizeitung noch als unabhängiges Blatt. Und ihr Beitrag zur Medienvielfalt in Salzburg war bescheiden geworden, sehr bescheiden.
Zukunftsvergessenheit
Doch in einem Punkt ist dem gescheiterten SVZ-Geschäftsführer zuzustimmen: Die Presseförderung ist der aktuellen Lage der Zeitungen in keiner Weise mehr angemessen. Sie hat einmal mehr versagt. Und zwar nicht deshalb, weil sie der SVZ jetzt die Förderung mit gewundener Rechtfertigung entzieht. Sondern weil sie das im Rahmen einer grundlegenden Reform nicht schon viel früher getan hat. Weil die Medienpolitik den Mut nicht aufbringt, auf die Zeitungskrise kraftvoll und zukunftsorientiert zu reagieren. Nicht der Rauswurf der SVZ aus der Förderung ist das Problem (womit sich die Energie der Medienpolitik für dieses Jahr wohl erschöpft hat), sondern Realitätsverweigerung.
Österreich außerhalb von Wien hat schon lange keine Zeitungsvielfalt mehr, mit oder ohne SVZ (und der ebenfalls 2014 eingestellten Kärntner Tageszeitung KTZ). Und Wien eingerechnet sind 14 Zeitungstitel für neun Millionen Menschen für eine plurale Demokratie beschämend.
Die Medienpolitik hat sowohl die Instrumente als auch die finanziellen Mittel in der Hand, den verheerenden Trend zu noch mehr Vielfaltsverlust zu bremsen. Die Presseförderung muss Qualität und Professionalität belohnen, nicht "Journalismus light". Die Mittel, die für die Anzeigen von Ministerien und staatsnahen Betrieben sind, zu bündeln und der "Presseförderung neu" zuzuschlagen. Alternative Formen der Herstellung von Öffentlichkeit sind konsequent zu unterstützen, um mehr Vielfalt zu ermöglichen. Dazu braucht es keine politischen Visionen, sondern medienökonomischen und kommunikationspolitischen Sachverstand. Beides ist in Österreich vorhanden.
Bringt die Insolvenz der SVZ den Stein für eine neue Medienpolitik ins Rollen, dann enthält die traurige Nachricht wenigstens einen Funken Hoffnung. Die Journalistinnen und Journalisten der SVZ wird das nicht trösten. Ihnen ist zu danken, dass sie so lange an dem kurzen Strick gezerrt haben, den ihnen die Presseförderung zugestanden hat. (Josef Trappel, DER STANDARD, 12.8.2014)