Markus Schimautz, ÖVP-Gemeinderat in Graz, will seine Visionen von einer anderen ÖVP in ganz Österreich verkünden lassen.

Foto: Ermin Čeliković

In puncto Vorwahlsystem seien die Neos "der ÖVP meilenweit voraus, wo im Geheimen in Hinterzimmern irgendwelche Listen ausgemacht werden", sagt Markus Schimautz, ÖVP-Bezirksparteiobmann in Graz-Jakomini.

Schimautz gründete die "ÖVP- Basis". Diese fordert die "Entfesselung" der Spitzenfunktionäre der ÖVP von "Lobbyisten" und mehr Mitspracherecht für die Basis. Auch der nächste Parteiobmann müsste "von und aus der Basis kommen".

Schimautz kritisiert außerdem ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel. Der von der Parteizentrale gestartete Reformprozess sei "nicht mehr als eine Kampagne". Wie die "ÖVP-Basis" eine "starke Kraft" werden soll, "die von der Partei nicht mehr ignoriert werden kann", erklärt er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Sie sind Initiator der "ÖVP-Basis“ und haben kürzlich über die Intention Ihrer Initiative gesagt: "Wir müssen uns als Partei dorthin bewegen, wo die Menschen leben und arbeiten." Wo ist die Partei denn jetzt gerade?

Markus Schimautz: Dazu muss man definieren, was man unter "Partei" versteht. Die Basis selbst ist sehr nah bei den Menschen. Das Problem ist, dass die Spitze, die die Entscheidungen in dieser Partei trifft, relativ weit von der Basis entfernt ist.

derStandard.at: Wen meinen Sie mit "Parteispitze“? Vizekanzler Michael Spindelegger?

Schimautz: Ich bin ein Systemdenker. Es macht wenig Sinn, über einzelne Politiker zu reden, sondern man muss sich ganzheitlich über die Struktur und Kommunikation der Partei Gedanken machen.

derStandard.at: Woran spüren Sie, dass die Spitze so weit von der Basis weg ist?

Schimautz: Beim EU-Wahlkampf ist nichts zu uns an die Basis durchgedrungen. Ich bin zum Beispiel Bezirksparteiobmann in Graz-Jakomini. Dieser ist mit 35.000 Einwohnern der einwohnerstärkste Bezirk von Graz. Es wäre sehr viel Know-how vorhanden, aber diese Positionen werden von der Bundespartei auch nicht abgefragt.

Niemand fragt uns, wie die Menschen denken. Lieber lässt man eine Agentur, die das Innenleben der Partei überhaupt nicht kennt, Werbekonzepte erarbeiten, anstatt Bezirksstrukturen in Entscheidungsprozesse einzubinden. Diese Ressourcen wollen wir zum Wohle der Gesellschaft nutzen.

derStandard.at: Jeder Generalsekretär der bei der ÖVP in den letzten Jahren neu angetreten ist, hat in Aussicht gestellt, er werde die Länder stärker einbinden. Ist das nicht der Fall?

Schimautz: Bis jetzt hat das noch nie funktioniert, weil man immer einen Top-down-Prozess versucht hat. Und solcherart von oben gesteuerte Reformprozesse verlaufen immer dann ins Leere, wenn es darum geht, dass die Eliten an der Spitze der Partei einen Teil ihrer Macht an die Basis abgeben müssten.

derStandard.at: Aber Generalsekretär Gernot Blümel kümmert sich in der ÖVP doch gerade um einen Reformprozess?

Schimautz: Das Problem ist: Wenn eine Basiskampagne nicht aus der Basis heraus entsteht, dann ist es eben nicht mehr als eine Kampagne oder eine gute Werbung. Es handelt sich um keine echte Basisinitiative. Auf Facebook wird unsere Initiative von 3.500 Menschen unterstützt. Der Druck zur Veränderung soll von unten kommen, denn dann ist er ehrlich und nachhaltig. Die Leute oben sind gefesselt.

derStandard.at: Wer ist gefesselt?

Schimautz: Spindelegger sprach im Nationalratswahlkampf von der Entfesselung der Wirtschaft. Dabei müssten sich einige Funktionäre selbst einmal entfesseln. Ab einer bestimmten Ebene können sie nicht mehr frei denken und handeln.

Wir wollen der Partei noch eine Chance geben und nicht zuschauen, wie der Karren gegen die Wand fährt. Und: Wir wollen keine Spinner sein, die außerhalb der Partei agieren.

derStandard.at: Von welchen Fesseln muss sich die Parteispitze denn befreien?

Schimautz: Ich glaube, das muss man nicht genau ausführen. Mittlerweile ist es den Österreichern und Österreicherinnen sehr klar, dass Parteispitzen sehr stark von Lobbyisten und Interessenverbänden umgeben sind. Das muss jetzt endlich einmal aufhören. Die Parteispitze muss sich von diesen Einflüsterern in ihrem Umfeld befreien. Nur dann haben wir eine Chance.

derStandard.at: Zum Beispiel von der Raiffeisenbank und der Industriellenvereinigung?

Schimautz: Ja, auch diese sind ein Teil dieser Realität. Wichtig, ist, dass die Partei zu ihnen eine Distanz bekommt.

derStandard.at: Im nächsten Jahr gibt es einen Bundesparteitag der ÖVP. Soll Michael Spindelegger wieder zum Obmann gewählt werden? Ist er der richtige Mann für die Entfesselung?

Schimautz: Ich habe persönlich nichts gegen Spindelegger. Er ist ein aufrichtiger und sympathischer, lieber Kerl. Aber er wird sehr stark von irgendwelchen PR-Beratern beeinflusst, was man beim Nationalratswahlkampf deutlich sah. Er kam zu weich rüber, deshalb wurde er gecoacht. Man kann aber aus einer Person nicht machen, was sie nicht ist. Michael Spindelegger gegen einen anderen auszutauschen, der aus dem gleichen System ausgespuckt wird, wird aber zu keiner Änderung führen. Es braucht eine andere Haltung in der Partei, ansonsten ist sie am Ende.

derStandard.at: Wie müsste der Obmann oder die Obfrau sein?

Schimautz: Mir geht es darum, dass der, der an der Spitze ist, frei agieren kann und auf die Basis hört. Er muss gestärkt von und aus der Basis kommen.

derStandard.at: Auf Facebook sieht man Ihre Gruppe in einem Seminarraum. Die Herren scheinen in Ihrer Reformgruppe eindeutig in der Überzahl zu sein?

Schimautz: Das ist sicher ein großes Manko, das mich persönlich sehr schmerzt. Wenn es darum geht, mutig nach vorne zu schreiten, haben sich offenbar mehr Männer berufen gefühlt. Auch bei uns im Bezirk melden sich mehr Herren. Da liegt ein großes Potenzial brach, man muss darüber nachdenken, wie mehr Frauen mobilisiert werden können.

derstandard.at: Einige Engagierte sind von der ÖVP zur moderneren ÖVP, den Neos, gewechselt. Was hält Sie noch in der Volkspartei?

Schimautz: Als moderne ÖVP würde ich die Neos nicht bezeichnen. Sie haben modernere Mechanismen, etwa das interne Vorwahlsystem. In diesem Punkt sind sie der ÖVP meilenweit voraus, wo im Geheimen in Hinterzimmern irgendwelche Listen ausgemacht werden. Aber: Ich bin keiner, der rein liberal denkt. Mir sind gewisse Werte wichtig, die ich bei den Neos vermisse. Bei der ÖVP halten mich die Grundwerte wie Solidarität und Subsidiarität, die im Hintergrund verborgen sind. Wir müssen nur anfangen, diese Werte wieder zu leben.

derStandard.at: Die ÖVP wird oft kritisiert, zu konservativ in ihrem Familienbild zu sein und sich nicht auf die gesellschaftlichen Entwicklungen einzustellen.

Schimautz: Uns als ÖVP-Basis ist Familie wichtig, sie ist essenziell. Man darf nicht Angst haben. Weil so viel im Umbruch ist und viele zu anderen Parteien laufen, dürfen wir unsere Werte trotzdem nicht verraten. Die Probleme, die wir als Partei haben, resultieren nicht aus unseren Werten. Natürlich muss man auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Aber eben, ohne seine Werte zu verraten.

derstandard.at: Hat der Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter die Werte der ÖVP verraten, als er für das Adoptionsrecht Homosexueller eintrat?

Schimautz: Das muss jeder für sich selbst beurteilen. Das Wohl des Kindes muss im Vordergrund stehen. Zu dieser Thematik gibt es unterschiedliche Expertenmeinungen.

derStandard.at: Wie stehen Sie dazu?

Schimautz: Dazu habe ich mir noch keine Entscheidung abgerungen. Ich möchte schauen, was die Experten dazu sagen, und mir dann meine Meinung bilden. Man sollte das nicht nur rein ideologisch betrachten. Aber eines ist klar, unsere Gesellschaft ist offener und liberaler geworden, und dem wird sich auch die Volkspartei nicht dauerhaft verschließen können.

derStandard.at: Was sagen die Menschen zur Steuerreform bis 2015?

Schimautz: Das Thema, dass die Leute draußen am meisten berührt, sind Ängste um ihre Zukunft und um ihren Arbeitsplatz. Ob man irgendeine Steuer um 0,1 Prozent reduziert, ist gar nicht das Essenzielle. Die Leute spüren, dass sich das Hamsterrad immer schneller dreht. Dass wir von Krise zu Krise schlittern. Sie haben den Eindruck, dass Politiker für Ressorts zuständig sind, von denen sie keine Ahnung haben. Die Leute haben es satt, dass ihnen Lügen aufgetischt werden.

Wir brauchen eine Vision für das Land. Wann hat das letzte Mal jemand gesagt, dass er eine Idee für unser Land hat? Die Bildungspolitik ist übrigens genauso wichtig wie die Steuerpolitik. Auch hier muss es zu gravierenden Veränderungen kommen.

derStandard.at: Arbeitet Ihre ÖVP-Basisgruppe eigentlich nur in der Steiermark oder in ganz Österreich?

Schimautz: Wir sind österreichweit aufgestellt und haben bereits über 40 Botschafter, die unsere Vision in die Bezirksgruppen aller Bundesländer bringen. Sie fungieren als Multiplikatoren. Ziel ist, dass wir eine starke Kraft werden, die von der Partei nicht mehr ignoriert werden kann.

Bei unserem Sommercamp am Wochenende war auch ein Vertreter der Bundespartei anwesend, der fleißig mitgeschrieben hat. Wir waren unter Beobachtung der Bundespartei. Man will uns also zuhören. Jetzt brauchen sie die Anliegen der Basis nur mehr auch ernst nehmen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 11.8.2014)