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Gewonnen - und was nun? Als "Mann des Volkes" zieht der türkische Premier Ende August ins Präsidentenamt ein. Sein Nachfolger soll nur exekutieren, gleichzeitig aber auch die Partei leiten können.

Foto: REUTERS/Murad Sezer

Der Blumentopf am Tag danach sagt alles. Auf der Titelseite des türkischen Oppositionsblatts "Sözcü" prangt er, aus Plastik, wie üblich hier, und randvoll mit Erde gefüllt. Nur die Grünpflanze fehlt. "Gesucht: Ein Blumentopf-Premier" steht in dicken Lettern auf der Seite. Während die türkische Regierungspresse den Sieg von Tayyip Erdogan bei den Präsidentenwahlen feiert, macht sich die Opposition schon über den Büttel lustig, den der neue Staatschef auf den Premierssessel setzen wird.

Genau darum ging es Montag auch bei der ersten Sitzung des Führungsgremiums der konservativ-islamischen AKP in Ankara. Außenminister Ahmet Davutoglu gilt als Anwärter auf den "Blumentopf", der frühere Verkehrsminister Binali Yildirim, ein anderer enger Vertrauter Erdogans, ebenso wie Mehmet Ali Sahin, einer der stellvertretenden Parteichefs.

Erdogan hatte schon vor der Wahl erklärt, er werde kein traditioneller Präsident sein, sondern aktiv und "parteiisch". Die Macht im türkischen Staat wird also nach Çankaya wechseln, dem Stadtviertel in Ankara, wo der Amtssitz des Präsidenten liegt. Am 28. August wird es so weit sein. Dann endet die Amtszeit von Abdullah Gül, und Erdogan wird im Parlament den Amtseid ableisten. Er werde zur Partei zurückkehren, erklärte Gül am Montag. Ihn wünschen sich viele in der Partei als Regierungschef; doch hat er derzeit kein Parlamentsmandat, was Voraussetzung für das Premiersamt ist. Und ob er die Rolle des "Blumentopfs" spielen will, ist auch unsicher.

Mit 51,8 Prozent hat Erdogan in der ersten Runde die Präsidentenwahl für sich entschieden; es war etwas weniger, als in der Wahlnacht zuerst errechnet. Über die politischen Folgen dieses Ergebnisses wurde am Montag eifrig spekuliert: Ganz so einfach wird es dann doch nicht für die AKP, bei der nächsten Parlamentswahl eine Zweidrittelmehrheit zu holen und die türkische Verfassung im Alleingang so zu ändern, wie es Erdogan vorschwebt - ein Präsidialsystem mit einem starken Staatsoberhaupt statt mit dem jetzigen parlamentarischen System.

Fünf Millionen Nichtwähler

Rund eine halbe Million Stimmen weniger bekam Erdogan bei dieser ersten Direktwahl eines Präsidenten, verglichen mit dem Ergebnis seiner AKP bei der Parlamentswahl im Sommer 2011. Doch die deutlich niedrigere Wahlbeteiligung stellte den Sieg des 60-Jährigen sicher. Erdogan konnte seine Wähler mobilisieren, nicht so Ekmeleddin Ihsanoglu (38,5 Prozent), der gemeinsame Kandidat der Oppositionsparteien CHP und MHP. Fünf Millionen Bürger waren zu Hause geblieben, mehr als zwei Millionen allein in Istanbul.

Eine Ära sei zu Ende, meinte gleichwohl der Kommentator Mehmet Altan; mit dem Weggang des Parteigründers Erdogan werde sich vieles für die AKP ändern. "Die Wählerstimmen werden langsam zurückgehen."

Ihren neuen Vorsitzenden wird die AKP nun am 27. August wählen, so wurde Montag entschieden - einen Tag vor Erdogans Angelobung. Dies würde allerdings ausschließen, dass der dann noch amtierende Gül die Führung der Partei übernehmen kann. Gül hatte sich in der Vergangenheit häufiger mit kritischen Bemerkungen von Erdogan distanziert, am Ende aber jedes Mal die Gesetze unterschrieben, die ihm vorgelegt wurden.

Mit der Wahl eines amtierenden Premiers ins Amt des Präsidenten hat die türkische Politik Neuland betreten. Laut Verfassung müsste Erdogan sowohl seinen Parteivorsitz als auch sein Premiersamt aufgeben, sobald er im Gesetzblatt zum neuen Staatspräsidenten erklärt wird, merkten Beobachter an. Börsenkurse in Istanbul und die türkische Lira gaben am Montag dieser Unsicherheiten wegen leicht nach. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 12.8.2014)