Wien - Österreich setzt seine rund neun Milliarden Euro Familienleistungen nicht optimal ein, wie aus einer aktuellen Wifo-Studie für das Familienministerium hervorgeht. Ressortchefin Sophie Karmasin (ÖVP) will daher künftig auf Sachleistungen fokussieren, berichtete das Ö1-"Morgenjournal" am Dienstag.

Im Europavergleich zählt Österreich mit einer Geburtenrate von 1,44 Kindern pro Frau zu den Schlusslichtern. Zwar gehen drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Familien, 80 Prozent davon allerdings als reine Geldleistung. Wesentlich bessere Geburtenraten weisen Frankreich (2 Kinder pro Frau) und Dänemark (1,73 Kinder pro Frau) auf - beides Länder, in denen stärker auf Sachleistungen gesetzt wird. Dänemark etwa gibt viermal so viel für Kinderbetreuungseinrichtungen aus, Frankreich dreimal so viel.

Nur mehr Sachleistungen

Laut Studie müsse erfolgreiche Familienpolitik viel stärker auf Sachleistungen, also den Ausbau der Kinderbetreuung setzen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Karmasin verwies gegenüber dem ORF-Radio darauf, dass mit den kürzlich beschlossenen zusätzlichen rund 300 Millionen Euro für den Ausbau der Betreuungseinrichtungen der Paradigmenwechsel bereits eingeleitet sei.

Die Neuaufteilung der Investitionen mit 50 Prozent an Sachleistungen soll Österreich in den kommenden vier Jahren zum "familienfreundlichsten Land Europas" machen, bekräftigte sie. Zusätzliche Mittel für Familien soll es nur noch als Sachleistung geben, erklärte die Ministerin.

Heinisch-Hosek gegen steuerliche Freibeträge

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) begrüßt die Aussagen von Karmasin, wonach Geld- und Sachleistungen für Familien gleichermaßen aufgeteilt werden sollen. Familien durch zusätzliche Steuererleichterungen wie Freibeträge zu entlasten, hält sie hingegen nicht für sinnvoll.

Österreich habe bereits jetzt einen "Dschungel an steuerlichen Begünstigungen, von denen zwei Drittel gar nicht abgeholt werden", kritisierte Heinisch-Hosek in einer Aussendung. Außerdem würde durch zusätzliche Steuererleichterungen das Betreuungsproblem vieler Familien nicht gelöst werden: "Keine Mutter von drei Kindern kann auch nur eine Stunde mehr arbeiten gehen, egal wie viel netto ihr vom brutto bleibt, solange entsprechende Betreuungseinrichtungen fehlen."

Die Frauenministerin hält daher den bereits eingeschlagenen Weg - die Erhöhung der Familienbeihilfe und den Ausbau der Kinderbetreuung - für den "richtigen".

Grüne wollen Rechtsanspruch auf Kindergartenplatz

Die Grünen sahen sich in ihrer Forderung nach einer Umschichtung von Geld- und Sachleistungen bestätigt. "Unverständlich" hingegen sei die Ausweitung der steuerlichen Entlastung, denn von Absetz- und Freibeträgen würden nur einkommensstärkere Familien profitieren, erklärte Sozialsprecherin Judith Schwentner in einer Aussendung. Sie pochte auf einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem ersten Geburtstag des Kindes.

Die Industriellenvereinigung drängt auf eine Reform der Familienleistungen: das Modell müsse einfacher werden und soll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den drei Säulen Transfer, Kinderbetreuung und Steuern herstellen, betonte Vize-Generalsekretär Peter Koren.

ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende Sabine Oberhauser begrüßt den Paradigmenwechsel hin zu mehr Sachleistungen. Davon würden nicht nur die Familien profitieren sondern auch Arbeitsplätze für Kindergartenpädagogen geschaffen werden.

Kritik vom Team Stronach

"Die Familienpolitik der ÖVP hat versagt", stellte hingegen Team Stronach-Generalsekretär Marcus Franz fest. Er verlangt eine flächendeckende und vor allem ganzjährige Kinderbetreuung, denn: "45 oder 47 Wochen sind zu wenig."

Den Fokus auf Sachleistungen finden die NEOS gut. Beate Meinl-Reisinger sieht im Ö1-"Mittagsjournal" allerdings auch die Länder und Bürgermeister gefordert, denn zuletzt habe man gesehen, dass es schwierig sei, Betreuungsplätze zu schaffen, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie erlauben. Für die Freiheitlichen sind die Aussagen Karmasins noch zu unpräzise. Die Ministerin wisse selbst nicht wo sie hin will, kritisierte Familiensprecherin Anneliese Kitzmüller. (APA, 12.8.2014)