In der DNA ist die Geschichte der Menschheit gespeichert. Die Sequenzierung des Genoms bringt neue Zusammenhänge ans Licht.

Foto: katsey

Es kommt nicht allzu oft vor, dass sich der Professor einer US-Eliteuniversität zum Versuchskaninchen für seine eigene Forschung macht. Ab 2010 ließ sich Michael Snyder, Genetiker an der Universität Stanford in Kalifornien, regelmäßig Blut abnehmen und untersuchte es mit seinen Kollegen so gründlich wie nur möglich. Auf diese Weise wurde nicht nur Snyders komplette DNA (also sein Genom) entschlüsselt, sondern auch die in seinen Zellen produzierten Proteine (das Proteom) und Stoffwechselprodukte (das Metabolom). Damit war Snyders genetisches Profil für die Dauer der Studie das bestuntersuchte aller Menschen unseres Planeten.

Die Sequenzierung seiner DNA brachte für den Genetiker einige nicht ganz angenehme Überraschungen: Es zeigte sich bei Analysen seiner Gensequenz nämlich ein etwas erhöhtes Risiko für Basalzellkarzinome, für hohe Blutfettwerte und für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes. Solcherart vorgewarnt, stellte der Stanford-Professor seine Ernährung um, machte mehr Bewegung und nahm Medikamente, um so den Blutzuckerspiegel wieder zu senken, ohne Insulin spritzen zu müssen. Vor allem aber vermied er irreparable Zellschäden, die durch eine späte Entdeckung von Typ-2-Diabetes womöglich entstanden wären.

Die umfassenden Analysen, die Synder wichtige Informationen über seine Gesundheit brachten, hatten aber auch einen Nachteil: Als er seine Versicherung über den Typ-2-Diabetes informierte, schnellten seine Versicherungsprämien ähnlich schnell nach oben wie zuvor seine Blutzuckerwerte. Der Genetiker meinte im Rückblick allerdings, dass die Vorteile seines Selbsttests eindeutig überwogen hätten.

Ist eine solche Form der genetisch fundierten Selbstüberwachung, über die Snyder und sein Team vor zwei Jahren im Fachblatt Cell berichteten, eine Vorwegnahme unserer medizinischen Zukunft? Werden wir in einigen Jahren auf Basis unserer DNA-Profile und aktuell erhobener Körpermesswerte Krankheiten frühzeitig erkennen können, bevor sie noch richtig ausbrechen?

Das neueste Projekt von Google

Im Moment scheint Snyders Studie eher noch Vorbild für größer angelegte Untersuchungen zu sein, um mehr genetische Dispositionen oder Biomarker für Krankheiten zu identifizieren, also beispielsweise bestimmte Mikroben im Darm, die signifikante Aussagen über den Gesundheitszustand zulassen. Eines dieser Projekte nennt sich "Baseline-Study" und wurde von Google X konzipiert, jenem Forschungslabor, in dem auch Google Glass entwickelt wurde und in dem am fahrerlosen Auto der Zukunft gearbeitet wird.

Wie das Wall Street Journal Ende Juli berichtete, sollen in der ersten Phase dieses Projekts 175 freiwillige Testpersonen an der Studie teilnehmen, sehr viel weniger als in sonst üblichen klinischen Untersuchungen. Stattdessen wollen die Forscher - ähnlich wie Synder - so viele genetische und molekulare Informationen wie nur möglich sammeln. Und das bedeutet auch, zunächst einmal die Genome der Probanden vollständig zu sequenzieren.

Des Weiteren werden die Studienteilnehmer mit einer Reihe von zum Teil neu entwickelten tragbaren Geräten ausgestattet, die Daten liefern sollen - so etwa mit einer smarten Kontaktlinse, die Daten über den Glukosegehalt der Tränenflüssigkeit liefert. Die Ziele des Projektteams um den Molekularbiologen Andrew Conrad sind offiziell recht bescheiden. Man erwarte nicht, dass die Studie unmittelbar zu Therapien gegen Krankheiten führen wird. Absehbar ist, dass dieses Projekt, das in Kooperation mit der Universität Stanford und der Duke University auf mehr als tausend Probanden ausgeweitet werden soll, gigantische Datenmengen liefern wird - und damit den wichtigsten Rohstoff für die Medizin der Zukunft.

Paradigmenwechsel

All das wäre vor wenigen Jahren noch völlige Illusion gewesen: Das erste menschliche Genom vollständig zu sequenzieren dauerte von 1990 bis 2003 über 13 Jahre und kostete mehr als eine Milliarde Euro. Heute werben Hersteller von Sequenzierern damit, dass eine vollständige DNA-Sequenzierung um unter 1000 US-Dollar und in einem Tag zu haben ist. Parallel dazu sind in den vergangenen Jahren aber auch die Rechnerleistungen dramatisch gestiegen. Beides zusammen führt auch in der Medizin zum absehbaren Siegeszug von Big Data, also von aufwändigen Analysen gigantischer Informationsmengen in Supercomputern.

Die führenden Universitäten wie Stanford, Harvard, Oxford oder Cambridge haben sich mit entsprechenden Großrechenanlagen und speziellen Forschungszentren längst darauf vorbereitet. Doch auch IT-Firmen wie IBM, der Computerhersteller Dell oder Google investieren große Summen, um in den exponentiell wachsenden Datenmengen nach neuen medizinischen Erkenntnissen zu suchen.

Big Data deutet aber auch auf einen Paradigmenwechsel in der medizinischen Forschung hin - in Richtung stärkerer Personalisierung. Die Ergebnisse konventioneller klinischer Studien gelten entsprechend nur im statistischen Mittel für ähnlich zusammengesetzte Patientengruppen. Für viele Krankheiten ist aber ein komplexer und individueller Mix aus Faktoren verantwortlich. Entsprechend geht es bei einer mithilfe von Big Data personalisierten Medizin darum, für Patienten persönlich abgestimmte Behandlungen zu entwickeln.

Handfeste Auswirkungen für Big-Data-Medizin

All das wird bestimmt nicht vor dem Jahr 2020 kommen, prognostizierte unlängst die Wissenschaftszeitschrift Nature, zumal noch viele Fragen offen sind.Ungeklärt ist, wer die Kosten für die aufwändigen Tests und für das Selbstmonitoring übernehmen soll. Absehbar ist auch, dass der Datenschutz im Zeitalter von NSA und Co der Big-Data-Medizin noch etliche Probleme bereiten wird. Und dann gibt es auch doch einige ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich des menschlichen Genoms, die immer noch erstaunlich umstritten sind - etwa jene, welche Teile unserer DNA überhaupt eine Funktion haben.

Antworten darauf sollte eigentlich das Projekt Encode liefern, die große Nachfolgestudie des 2003 beendeten Humangenomprojekts. Die beteiligten Forscher behaupteten 2012 im Fachmagazin Nature, dass nicht nur unsere 23.000 Gene, die nur einen kleinen Teil unseres Genoms ausmachen, sondern mehr als 80 Prozent unserer menschlichen DNA irgendeine biochemische Funktion haben müssen. Ende Juli 2014 behaupteten nun britische Genetiker der Uni Oxford, dass nur 8,2 Prozent des Genoms funktional seien. Der Rest habe sich im Laufe der Evolution wie "Gerümpel auf dem Dachboden" angesammelt. Das hätte auch handfeste Auswirkungen für die Big-Data-Medizin: Man müsste nicht mehr das gesamte Genom hinsichtlich Mutationen analysieren, so die Forscher, sondern nur mehr gut acht Prozent davon. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, CURE, 19.8.2014)