Pflege in der Familie war früher, als es noch Großfamilien gab, einfacher zu organisieren. Heute sind es staatliche Strukturen, die unterstützen müssen.

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Meistens geht es sehr schnell. Ein Schlaganfall, ein Unfall oder die akute Verschlechterung einer chronischen Krankheit können einen alten Menschen von einem Tag auf den anderen pflegebedürftig machen. Was tun, wenn die Mutter oder der Vater Pflege braucht? Die meisten Familien sind auf den neuen Lebensabschnitt nicht vorbereitet.

Viel zu organisieren

Edith Ploss, mobile Seniorenberaterin in Vorarlberg, hat dafür Verständnis: "Wer bereitet sich schon gerne auf negative Ereignisse vor?" Pflegebedürftige Eltern, das bedeute Konfrontation mit dem Thema Alter, Abschied, Tod. Mit Panik oder Lethargie sei sie in der Erstberatung konfrontiert, sagt die diplomierte Sozialarbeiterin. "Kein Wunder, man sollte in den wenigen Tagen vor der Entlassung aus dem Krankenhaus alles organisieren, und das in einer emotionalen Krise, in der klares Denken schwerfällt."

Steht die Entlassung aus dem Krankenhaus an, sollten die wichtigsten Punkte geklärt sein: Gibt es finanzielle Unterstützung, und wo bekommt man sie? Ist die Wohnung für die Pflege daheim vorbereitet? Stehen technische Hilfsmittel wie Pflegebett, Badelift zur Verfügung? Welche mobilen Hilfsdienste gibt es in der Umgebung? Aber wie kommt man zu den Hilfsmitteln, zu den Organisationen? Erste Hilfe kann man sich über das Pflegetelefon des Sozialministeriums – 0800/20 16 22 – holen. Edith Ploss bietet als eine der wenigen selbstständigen Seniorenberaterinnen in Österreich konkrete Hilfestellung an: "Nicht nur einen Fahrplan, wo und wie man welche Hilfsmittel und -dienste bekommt, sondern auch eine Anleitung, wie man diesen Fahrplan umsetzt."

Pflege zu Hause

Auch wenn es in den meisten Familien unausgesprochen ist: Die Alten rechnen mit den Jungen. Noch geht die Rechnung auf, zeigt die Statistik: 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Das soll sich auch in Zukunft nicht ändern, wie eine aktuelle Befragung des Familienministeriums und des Pflegeheimbetreibers SeneCura bei über 65-Jährigen zeigt: Knapp zwei Drittel der Befragten wollen ihren Lebensabend daheim verbringen.

Unterstützung im Alltag hätten sie gerne von der jüngeren Generation. 86 Prozent geben an, dass die alltägliche Hilfe, beim Einkaufen und im Haushalt, gut klappt. Sollten sie es nicht mehr allein schaffen, möchten die Alten von vertrauten Menschen betreut werden: 32 Prozent zählen auf ihre Familienangehörigen. Dass dieser Wunsch auch realisiert werden kann, glauben aber nur 20 Prozent. Mobile Hilfsdienste würde ein Fünftel der Befragten in Anspruch nehmen, die 24-Stunden-Betreuung 16 Prozent. Ins Pflegeheim möchten 19 Prozent. Für neue Wohnformen, wie das Zusammenleben mehrerer Generationen, kann sich nur eine Minderheit von vier Prozent begeistern.

Die Alten rechnen mit den Jungen

Die Entscheidung für das traditionelle Modell der Pflege sollte gut überlegt werden. "Wenn eine Frau das macht – in den überwiegenden Fällen sind es ja Töchter und Schwiegertöchter -, muss sie sich darüber im Klaren sein, dass sie 24 Stunden Rufbereitschaft hat", beschreibt Edith Ploss die Pflegesituation realistisch. Pflege durch Angehörige sollte mehr Management als direkte Umsetzung sein, sagt die Beraterin. "Wichtig ist, dass man von Anfang an Entlastung durch mobile Dienste oder andere Angehörige organisiert."

Das Pflegemanagement kostet Zeit und Nerven: "Es muss einem klar sein, dass man viel Zeit in Telefonate und Papierkram investieren muss", sagt Margit Haller, die sich seit vier Jahren gemeinsam mit der Mutter, die noch die leichten Alltagstätigkeiten bewältigen kann, und mobiler Krankenpflege um den Vater kümmert. "Nicht alle Stellen sind kooperativ" , bedauert die 57-Jährige. Da wäre etwa "der Krampf mit den Pflegegeldgutachten". Drei Gutachter haben ihren Vater bisher gesehen. Zur Einstufung des chronisch kranken Mannes mit beginnender Demenz war eine Klage auf Höherstufung notwendig.

Fragen zum Pflegegeld sind es auch, die am Pflegetelefon am häufigsten gestellt werden: 2012 wollten mehr als die Hälfte der 7213 Anrufenden Details dazu wissen. Im selben Jahr bezogen 440.622 Menschen Pflegegeld in der Höhe von 2,2 Milliarden Euro. 55 Prozent dieser Menschen müssen von weniger als 860 Euro Bruttoeinkommen pro Monat leben. Die überwiegende Mehrheit (70 Prozent) der Pflegegeldbeziehenden landet in den Stufen 1 bis 3 im siebenstufigen Modell. Stufe 1 bedeutet Pflegeaufwand von mehr als 60 Stunden monatlich, Stufe 7 von mehr als 180 Stunden und Bewegungsunfähigkeit. Ausbezahlt werden zwischen 154,20 Euro (Stufe 1) und 1655,80 Euro (Stufe 7).

Frau Hallers Vater bekam dank erfolgreicher Klage (die Arbeiterkammer begleitet kostenlos) Stufe 4 und damit 664,30 Euro pro Monat. Rechnet man den Pflegeaufwand von mehr als 160 Stunden, ergibt das pro Stunde 4,15 Euro. Die Tochter bekommt für ihre Arbeit nichts, das Pflegegeld geht fast gänzlich für Miete und Kauf von Hilfsmitteln, mobile Krankenpflege, Medikamente und eine Putzkraft auf.

Finanzielle Absicherung

Muss der 84-Jährige ins Krankenhaus, wird das wieder vom Pflegegeld abgezogen. 18 der 56 Themen, die Seniorenberaterin Ploss im Portfolio hat, betreffen finanzielle Dinge. Ploss: "Die meisten Betroffenen wissen nicht, welche finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten es gibt, sie sind sehr dankbar, wenn ich ihnen den Papierkram abnehme." Frau Haller, die pflegende Tochter, arbeitet Teilzeit. "Den Job kann ich nicht aufgeben, ich will ja eine Pension bekommen", sagt sie.

An die eigene Zukunft denken viele pflegende Angehörige nicht, weiß Ploss. "Dabei gäbe es Möglichkeiten der finanziellen Absicherung, beispielsweise wird die Pensionsversicherung für nicht berufstätige Pflegende vom Staat übernommen." Wer berufstätig oder arbeitslos ist, kann seit heuer in Pflegekarenz gehen. Die Freistellung ist als Überbrückung für ein bis drei Monate gedacht. Voraussetzung: Die betreute Person hat mindestens Pflegestufe 3, außer sie leidet an Demenz, dann besteht diese Möglichkeit bereits ab Stufe 1. Die pflegende Person muss drei Monate in einem Arbeitsverhältnis gewesen sein. Während der Pflegekarenz besteht Kündigungsschutz, der Anspruch auf Abfertigung bleibt aufrecht, man bekommt 55 Prozent des täglichen Nettoeinkommens.

Generell kann Pflegekarenz pro pflegebedürftiger Person nur einmal beantragt werden. Ausnahme: Die betreute Person wird um mindestens eine Pflegestufe höher eingestuft, dann kann die Karenz einmalig verlängert werden. Eine weitere Ausnahme: Gehen zwei Angehörige hintereinander in Karenz, kann mit der Verlängerungsregelung ein ganzes Pflegejahr überbrückt werden.

Mobile Dienste

Unterstützung bei der Betreuung geben mobile Dienste. Je nach Bundesland bieten kirchliche Einrichtungen wie Caritas oder Diakonie oder staatliche Stellen Pflegehilfe an. Die mobilen Helferinnen (Helfer sind eine Minderheit) sind je nach Einrichtung diplomierte Fachkräfte, die Krankenpflegedienste anbieten dürfen, oder angelernte Helferinnen, die bei den täglichen Verrichtungen zur Hand gehen und pflegenden Angehörigen stundenweise Auszeiten ermöglichen.

Laut Pflegevorsorgebericht des Sozialministeriums nehmen österreichweit nur 20 Prozent der Pflegegeldbeziehenden mobile Dienste in Anspruch. Am häufigsten in Vorarlberg (44 Prozent), am wenigsten im Burgenland (elf Prozent). Edith Ploss warnt Pflegende davor, alles allein schaffen zu wollen: "Am Ende stehen viele Pflegende isoliert da, haben keinen Freundeskreis mehr, weil sie über Jahre vor lauter Pflege vergessen haben zu leben." (Jutta Berger, DER STANDARD, CURE, 19.8.2014)