Ein Youtube-Video über Kämpfer der IS.

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Facebook wolle den "Diskurs" ermöglichen und löscht gewaltverherrlichende Videos deshalb nicht immer.

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Auch in Österreich wird rekrutiert.

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Auch auf Youtube sind extrem viele Videos der IS-Miliz abrufbar.

Seit die Terrormiliz IS (Islamischer Staat) immer tiefer in den Irak vordringt, werden soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Youtube von einer neuen Welle an propagandistischen Inhalten überschwemmt. Hinrichtungen, Massengräber, verletzte oder getötete Kinder: Ein paar Klicks genügen, um zu expliziten Inhalten zu gelangen, die oftmals schon seit Wochen oder Monaten verfügbar sind. Und das, obwohl die Nutzungsbedingungen aller bekannten Dienste darauf hinweisen, dass gewaltverherrlichende oder explizite Inhalte verboten sind – ein offensichtlicher Widerspruch zur Praxis.

"Unglaublich" kompetent

Für diese Diskrepanz gibt es mehrere Gründe: So verfügt die Terrororganisation IS (vormals ISIS) über eine "unglaublich ausgereifte" Social-Media-Kompetenz, wie Vox.com berichtet. Die Miliz habe ein weitreichendes, globales Netzwerk an Unterstützern aufgebaut und könne ihre Botschaften so über unzählige Kanäle gleichzeitig absenden.

Eine App namens "Dawn of the Glad Tidings" (Morgenröte der frohen Botschaften) erlaubte das sogar technologisch: Wer die App heruntergeladen hatte, gestattete damit den ISIS-Terroristen, den eigenen Twitter-Account zu übernehmen. Die App war wochenlang im Google Play Store erhältlich, mittlerweile wurde sie gesperrt. Laut "The Atlantic" wurden pro Tag bis zu 40.000 Tweets über "Dawn of the Glad Tidings" abgesandt. IS schaffte es so in die Top-Trending-Hashtags der Region, was wiederum mehr Aufmerksamkeit generierte.

Facebook: Problematik bekannt, aber Plattform "neutral"

Besonders oft werden über Twitter gewaltverherrlichende Fotos verbreitet: So sorgte vor kurzem das Bild eines Kindes, das einen abgetrennten Kopf in Händen hielt, für große Aufregung. Der Account, auf dem das Bild gepostet wurde, ist mittlerweile gesperrt – eine Seltenheit.

Auch auf Facebook finden sich massenhaft explizite Videos und Bilder. Das ist Facebook aber bewusst: Man sehe sich als "neutrale Plattform", so ein Facebook-Sprecher zum STANDARD. Die Nichtlöschung der Videos sei eine bewusste Entscheidung – insofern die Videos im richtigen Kontext erscheinen. Man sei sich der Problematik bewusst, das soziale Netzwerk wolle aber die Debatte ermöglichen.

Google: "Zu viel Material"

Vermutlich herrscht diese Philosophie auch in anderen IT-Unternehmen vor. Youtube begründet die Nichtlöschung allerdings laut dem NDR-Magazin "n-joy" mit Überforderung: Eine Vorabprüfung sei unmöglich, da pro Minute bis zu hundert Stunden Videomaterial hochgeladen würden, so Youtube. Googles Videoplattform verweist darauf, dass Nutzer jederzeit Videos melden könnten, sollten diese gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Ähnlich argumentierte Youtube schon gegenüber dem WebStandard, als es um Neonazi-Inhalte ging.

Porno und Urheberrechte: Effizient

Bei Urheberrechtsverletzungen oder Pornografie ist das Löschverhalten der sozialen Medien jedoch um einiges effizienter. Facebook sorgte wiederholt für Aufregung, weil Seiten mit nackten Brüsten gesperrt wurden. Zu spüren bekamen das beispielsweise die Aktivistinnen von Femen.

Youtube lehnt zum Beispiel bei rechtsextremen Inhalten die Nutzung von Mechanismen ab, die sie im Kampf gegen Urheberrechtsverstöße einsetzt: etwa die Content-ID, mit der neue Songs, beispielsweise von Lady Gaga, belegt werden. Lädt ein User nun ein Video hoch, in dem dieses Lied zum Einsatz kommt, wird ein Alarm ausgelöst und das Video vom Netz genommen. Für die Entfernung terroristischer Inhalte ist dies anscheinend nicht möglich.

Rekrutierung von Kämpfern

Dabei spielen die Videos bei der Rekrutierung neuer Kämpfer eine signifikante Rolle – auch im Westen, wie eine Dokumentation der ARD zeigt. Auch das Profil berichtete vor kurzem über die Anwerbung islamistischer Kämpfer in Österreich. Die Jihadisten bedienen sich einer Videospieloptik, um Töten und Gewalt zu glorifizieren.

Durch zahlreiche "lockere" und "heitere" Bilder – etwa von mit Maschinenpistolen spielenden Katzen oder einer Schießpause im Swimmingpool – wollen die Terrororganisationen wie IS zusätzlich das Gefühl einer "guten Zeit" übermitteln, berichtet "Vice".

Embedded Journalists

Dessen Reporter Medyan Dairieh hat es übrigens geschafft, als "Embedded Journalist" vom Inneren des IS-"Kalifats" aus zu berichten. Ein spektakulärer Scoop, der aber laut "SZ" auch auf Kritik stößt: So trage Dairieh mit seinen Bildern selbst zu Propaganda bei, da er die IS-Kämpfer ungeschnitten reden lässt. Aber wenn das schon für Gefahr sorgen soll, wird klar, was erst die Propaganda-Inhalte selbst bewirken könnten. (Fabian Schmid, derStandard.at, 12.8.2014, Mitarbeit: Markus Sulzbacher)