"Ich halte diese permanente Besitzstandswahrung und die Nationalisierung der Kommissare für falsch", sagt Othmar Karas, Delegationsleiter der ÖVP im Europäischen Parlament.

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STANDARD: Wer soll Ihrer Meinung nach österreichischer Kommissar in Brüssel werden?

Karas: Die Entscheidung ist aus der Sicht Österreichs gefallen: Johannes Hahn. Was für ihn spricht: Er gehört zu den wenigen, die schon Kommissar waren. Das ist ein enormer Startvorteil, weil neben der notwendigen Erneuerung auch Kontinuität gefragt ist.

STANDARD: Der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sucht verzweifelt Frauen für dieses Amt. Gibt es in Österreich, gibt es in der ÖVP keine geeigneten Kandidatinnen?

Karas: Es gibt in Österreich genügend geeignete Kandidaten neben Johannes Hahn, auch Kandidatinnen. Nur die Entscheidung ist innerhalb Österreichs gefallen.

STANDARD: Lässt sich die österreichische Regierung nicht dazu bewegen, umzudenken? Jean-Claude Juncker hat auch die Abgeordneten aufgefordert, auf ihre jeweiligen Regierungen einzuwirken.

Karas: Es liegt an Juncker, welche Kandidaten er akzeptiert und von welchen Mitgliedsstaaten er Nachnominierungen einmahnt. Die Mitgliedsstaaten haben ein Nominierungsrecht, aber kein Bestellungsrecht. Es gehört ein Kommissar keinem Land, er gehört auch keiner Partei. Ich halte diese permanente Besitzstandswahrung und die Nationalisierung der Kommissare für falsch.

STANDARD: Was wäre konkret mit Ursula Plassnik? Wäre sie nicht eine gute Kandidatin?

Karas: Noch einmal, die Bundesregierung und der Hauptausschuss des Nationalrates haben die Nominierung durchgeführt. Und daher ist es müßig ...

STANDARD: ... aber man könnte jemanden nachnominieren.

Karas: Die Bundesregierung wird von sich aus niemanden nachnominieren. Sie wird den Kandidaten beim Kommissionspräsidenten verteidigen. Der Kommissionspräsident kann bei der Bundesregierung um eine Nachnominierung ersuchen. Ich weiß nicht, ob er das bei Österreich tut. Österreich hätte ausgezeichnete Frauen für die Kommission. Ich denke an Ursula Plassnik, aber auch an Gertrude Tumpel-Gugerell, ich denke an Sonja Puntscher-Riekmann, an Monika Kircher, an Helga Nowotny, aber auch an Brigitte Ederer. Ich trete ja generell für ein neues Nominierungsverfahren ein.

STANDARD: Welche Reformen bräuchte es?

Karas: Es ist die Frage zu stellen, ob eine Kommission mit 28 und mehr Kommissaren überhaupt noch handlungsfähig ist. Daher bräuchte es ein Rotationsprinzip.

STANDARD: Dann bekäme nicht jedes Land einen Kommissar.

Karas: Es hat ja auch nicht jedes Bundesland ein Bestellungsrecht für einen Minister. Es soll keinen Automatismus mehr geben. Um die Handlungsfähigkeit der Kommission sicherzustellen, muss es zu einer Neuordnung kommen. Wir brauchen eine Bündelung der Zuständigkeiten, um effizienter zu sein. Und es braucht ein Rotationsprinzip wie in der EZB. Juncker hat diese Debatte ja bereits begonnen. Außerdem sollte jeder Mitgliedsstaat zwingend mehr als eine Person nominieren. Ich bin für vier Nominierungen, zwei Männer und zwei Frauen. Wir hatten das schon: Wolfgang Schüssel hat 2004 vier Personen genannt und dann über die Dossiers verhandelt. Das letzte Wort haben aber der Kommissionspräsident und das Europäische Parlament beim Hearing - und nicht die Bundesregierung. Wenn jedes Land mehrere Personen nominiert, erhöht das den Entscheidungsspielraum für den Kommissionspräsidenten.

STANDARD: Haben diese Reformansätze bei der Trägheit des Apparats überhaupt eine Chance?

Karas: Vieles ist ohne Vertragsänderung möglich, manches benötigt eine Vertragsänderung wie zum Beispiel, dass die Außenpolitik von der Einstimmigkeit auf den Boden des Gemeinschaftsrechtes zu Mehrheitsentscheidungen kommt. Hier muss die Handlungsfähigkeit der EU-Kommission und der EU gestärkt werden. Dafür benötigt es eine Vertragsreform. Es sollte einen eigenen Zukunftskommissar geben, der sich der Information, der Kommunikation und der Beteiligung der Zivilgesellschaft widmet und einen breiten Diskussionsprozess über die Zukunft der EU leitet. Das Ziel muss eine gesamteuropäische Volksabstimmung über das Ergebnis dieses Reformprozesses sein.

STANDARD: Wie kann sich Österreich da einbringen?

Karas: Österreich könnte die Vorreiterrolle übernehmen. Gerade in einem Jahr, in dem wir 20 Jahre Volksabstimmung haben, 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs, 100 Jahre Gedenken an den Ersten Weltkrieg, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg, sollten wir die Initiative für einen Wiener Konvent ergreifen und in Österreich diesen Diskussionsprozess beginnen.

STANDARD: Gibt es diese Initiative?

Karas: Ich kriege sehr viel Zustimmung, aber ich sehe noch keine Handlung, weder von den politischen Parteien noch von den Parlamentsklubs. Aber ich werde nicht darauf warten. Ich werde versuchen, über das überparteiliche von mir initiierte Bürgerforum Europa 2020 einen derartigen zivilgesellschaftlichen Prozess in Österreich in die Wege zu leiten.

STANDARD: Auch gegen Ihre Partei?

Karas: Parteien haben eine wichtige Rolle in der Demokratie, aber die Demokratie ist nicht reduzierbar auf die Parteien. Da greifen Sie bei mir in eine offene Wunde. Wir brauchen dringend einen politischen Diskussionsprozess, der die Bürger verstärkt beteiligt. Die Parteien müssen sich darauf besinnen, dass sie Instrumente der Demokratie sind, aber die Demokratie nicht auf sich reduzieren dürfen.

STANDARD: Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer hat im Standard-Interview gefordert, dass sich die ÖVP mehr am Riemen reißen muss, und beklagt, dass die Partei bei 20 Prozent herumgrundelt. Was kann die ÖVP besser machen?

Karas: Die ÖVP kann vieles besser machen, das zeigt schon der Umstand, dass wir bei 20 Prozent liegen, also müssen wir etwas besser machen. Ich war immer davon überzeugt, dass ich die EU-Parlamentswahlen gewinnen kann und gewinnen werde mit meinem Team. Es gibt eine unglaubliche Sehnsucht der Menschen nach Orientierung, nach Diskurs, nach Antworten und nach vertrauensbildenden Maßnahmen.

STANDARD: Diese Sehnsucht wird offenbar auf nationaler Ebene nicht befriedigt.

Karas: Ich hätte mir auch bei der Europawahl noch mehr Engagement meiner Partei erhofft, noch viel mehr Bürgerkontakt, noch viel mehr öffentliche Debatte. Wir müssen viel stärker Themen und Projekte vorschlagen und mit den Bürgern diskutieren. Das beginnt jetzt schon, noch nicht in der ÖVP. Als Volkspartei müsste sie viel massiver die Partei der Bürger sein und mit ihnen in einem permanenten Diskurs stehen.

STANDARD: Der nicht stattfindet.

Karas: Zu wenig. Die Frage der Öffnung und der kritischen Auseinandersetzung ist eine Existenzfrage für die politischen Parteien, auch für die ÖVP. Eine andere Meinung zu haben ist keine Frage der Illoyalität. Der kritische Diskurs muss gelernt werden und muss gewollt sein. (Michael Völker, DER STANDARD, 13.8.2014)